Das Prinzip Selbstverantwortung
gäbe. Dass man »Wahrheit« erreichen könne. Da wird dann das Hohelied der Expertenschaft gesungen – ein sehr fragwürdiger Cantus, wenn man bedenkt, wie oft sich Experten irren oder nur bestimmte Interessengruppen vertreten. Aber es gibt (obwohl es mir schwerfällt, das einzuräumen) Bereiche im Unternehmen, in denen |110| der Einfluss des Beobachters eher gering ist. In diesen »harten« Bereichen – z. B. ob eine Maschine funktioniert oder nicht – ist relativ leicht Einigkeit zu erzielen. Warum sie u. U. häufig ausfällt – darüber sich zu einigen wird schon schwieriger. In dem »weichen« Bereich hochkomplexer sozialer Zusammenhänge wie z. B. bei Märkten, Teams, Mitarbeitern ist es aber vollständig irreführend, so zu tun, als gäbe es objektive hard facts. Im Bereich menschlichen Wirtschaftens ist die Perspektive des Beobachters entscheidend.
»Aber sehen Sie das doch mal objektiv!«
Wer so etwas sagt, appelliert (noch im besten Falle) an Sie, Sie sollten seine Sichtweise übernehmen. Er sagt: »Sehen Sie das doch so, wie ich das sehe!« Das ist aber unmöglich. »Objektiv« heißt übersetzt: vor aller Erfahrung. Aber dort ist für Menschen nichts zu holen.
Eine solche »perspektivische« Perspektive hat immense Konsequenzen für die Führung von Unternehmen. So satteln Führungspositionen in weiten Teilen der deutschen Wirtschaft nach wie vor weitgehend auf fachlicher Kompetenz. Und diese fachliche Kompetenz ist zudem nach Lage der Dinge in vielen Unternehmensbereichen vornehmlich »naturwissenschaftlicher« Herkunft. Nun will ich keinem Chemiker bei BASF, Bayer oder Hoechst zu nahe treten, und es gibt sicher auch viele Führungskräfte, bei denen sich fachlicher Anspruch und soziale Fähigkeiten auf glücklichste Weise paaren. In der Tendenz aber: Nicht zufällig hat dieser Chemiker das studiert, was er studiert hat.
Es gibt sicher viele Ausnahmen. Aber meiner Erfahrung nach haben gerade Naturwissenschaftler aufgrund ihrer Ausbildung und Lebenswelten tendenziell große Probleme, die Subjektgebundenheit der so genannten »Realität« anzuerkennen. Für sie sind die Dinge eher zweifelsfrei, gewissermaßen »objektiv«. Stellt man z. B. Manager vor die Alternative, bei gleichem Gehalt und Prestige sich mehr mit sachlich-fachlichen Fragen oder mehr mit Personalangelegenheiten zu beschäftigen, so ziehen drei von vier Führungskräften die Fachaufgabe vor. Fritz B. Simon erkennt darin »eine schier unstillbare Sehnsucht nach der Berechenbarkeit und Sicherheit trivialer Maschinen. Die harte Realität sachlicher Fragen, in der es klare Daten und Formeln gibt, um herauszufinden, |111| was ›richtig‹ und was ›falsch‹ ist, verspricht ein einfaches, den Regeln der Logik folgendes Leben, in dem man als Manager weiß, was man zu tun hat.«
»Aber wenigstens Zahlen sind objektiv!«
Tatsächlich? Zahlen sind bedeutungsleer. Sie fangen erst an zu sprechen, wenn
Sie
zu ihnen sprechen, das heißt, sie in einen Bedeutungszusammenhang einfügen. Wenn jemand 95 Prozent seines Forecasts erreicht hat, dann sagt das zunächst nur, dass er 95 Prozent seines Forecasts erreicht hat. Ein Sachverhalt. Was es bedeutet, ist abhängig vom Betrachter. Da sagt der eine: »Unter den Bedingungen der Marktturbulenzen im letzten Geschäftsjahr 95 Prozent erreicht zu haben ist eine gigantische Leistung. Bravo!« Ein anderer sagt: »5 Prozent unter Plan! Eine Katastrophe!« Ein dritter: »Wir müssen unsere Planungsabläufe optimieren.« Ein vierter: »Planung ersetzt sowieso nur den Zufall durch Irrtum.« Objektiv subjektiv. Sie sind gut beraten, wenn Sie das Wort »objektiv« aus Ihrem Wortschatz streichen. (Außer vielleicht, Sie arbeiten in einem Fotogeschäft.)
»Aber wenn viele andere derselben Meinung sind? Das ist doch
dann objektiv.«
Die Ähnlichkeits-Maschinerie: »Ich suche mir Leute, die mir ähnlich sind, und die finden diesen Chef auch doof!« Zweifellos führt meistens das Gefühl für die »Meinung der anderen« (was »man« meint) zu realistischen Schätzungen und sinnvollem Verhalten. Wenn etwas plausibel klingt, glaubwürdig erscheint, »augenscheinlich« ist, dann nehmen wir es für »wahr«. Aber Vorsicht ist geboten. Das, was wir für wahr halten, ist nämlich auch hochgradig abhängig von der Wahrnehmung anderer.
Berühmt geworden ist ein von Solomon E. Asch durchgeführtes Experiment, in dem Versuchspersonen aufgefordert wurden, die Länge von Strecken zu vergleichen. Die Teilnehmer sollten ihr
Weitere Kostenlose Bücher