Das Prinzip Selbstverantwortung
Fehlerlosigkeit. Nur Fehlerfreundlichkeit schafft Innovation. »Wir irren uns voran« (O. Marquard).
|200| Aus der Evolutionsbiologie, die sich mit dem Entstehen von organisch »Neuem« befasst, wissen wir, dass dieses Neue, Abgewichene, Unerprobte zunächst weniger tüchtig sein wird, ein »Fehler« ist. Eine andere Kombination äußerer Bedingungen lässt dieses Neue aber in Zukunft vielleicht »tüchtiger« sein. Diese doppelte Fähigkeit von Organismen zu Fehleranfälligkeit und Fehlertoleranz ist die Fehlerfreundlichkeit: eine Überlebensgarantie. Evolution, das dauernde Sich-aneinander-Anpassen und die gemeinsame Weiterentwicklung, ist auf Fehler angewiesen. Das sind Systeme, die Überraschungen, Abweichungen und Andersartigkeit akzeptieren und fördern. Fehlerunfreundliche Systeme sind praktisch tot. Können wir uns ein Unternehmen leisten, das sich den Menschen nicht mehr leisten kann?
Hier wird also nicht das Recht gefordert, zwischen Pulverfässern mit offenem Feuer zu spielen, sondern ein Unternehmen, das man mit einem Streichholz allein nicht in Brand stecken kann. Dazu bedarf es fehlerfreundlicher Strukturen. Und diese sind bedroht, je »schlanker« ein Unternehmen ist. Redundanzen, die vielen Stimmen im Konzert, Überhänge, Machtbalancen, der Markt: all das sind Systeme der Fehlerfreundlichkeit. Aufgabe der Führung ist es, Realitätskonstruktionen anzubieten, in denen Selbstverantwortung auch in dieser Hinsicht wieder genossen werden kann, ohne dass dafür ein zu hoher Preis zu zahlen ist. Dabei sage ich nicht, dass wir den absehbaren Fehler nicht vermeiden sollten. Ich sage nur, dass wir uns dennoch immer wieder irren und wir gerade dort Fehler machen werden, wo sie unvermutet und unvorhersehbar sind. Kein Methodenaufwand bietet absoluten Schutz vor Fehltritten. Wir müssen Strukturen schaffen, in denen Fehler nicht zu teuer werden oder gar tödlich sind. Solange Menschen aus Fehlern lernen können, ist es hilfreich, die Übernahme von Risiko zu ermutigen. Nur einen Fehler dürfen wir nie zulassen: den, den man nur einmal machen kann.
Das alles bedeutet ein hohes Maß an Toleranz gegenüber Fehlschlägen; den eigenen und denen der Mitarbeiter. Und so gibt es denn einen schweren (Führungs-)Fehler: sich selbst und anderen keinen zuzugestehen. Nur das Mittelmaß ist immer in Höchstform.
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Wie verändern?
Bekanntlich ist es die Aufgabe des Managements, alle anderen bei der Arbeit zu stören. Dies selbstverständlich unter so großkalibrigen Begründungen wie »Strategien umsetzen«, »den Wandel gestalten«, »restrukturieren«. Vom »Change as an event« zum »Change as a way of life«. Von festen Strukturen zu flexiblen Strukturen. Von Hierarchien zu Netzwerken. Vom Wissen zum Lernen. Man stelle sich vor, es gäbe keine Manager: die Prozesse würden fließen in einer natürlichen, selbststeuernden Weise. Besser? Schlechter? Nach welchem Maßstab? Das Management ist wohl oft die Krise, die es zu bewältigen sucht.
Dieser selbstgesetzte Störungsauftrag bezieht sich auch auf den einzelnen Mitarbeiter. Auch da muss kräftig verändert werden. Der Menschen-Veränderer unter den Führungskräften erfreut sich dabei schon seit längerem der Komplizenschaft der Psychologie. Trickreich kommt sie um die Ecke mit allerhand Mitarbeitertypologien, Bedürfnismodellen, Motivationstheorien. Da gibt es den Alpha-Mitarbeiter, den Beta-Mitarbeiter, den Omega-Mitarbeiter, die natürlich alle auf verschiedene Art und Weise zu »behandeln« sind. Ich sehe sie vor mir, die Führungskräfte, wie sie mit den griffigen Typentaxonomien ihre Mitarbeiter
analysieren
, militärischen Aufklärungsoffizieren vergleichbar, und dann, psychologisch sensibilisiert, NLP-trainiert (Hoch lebe die Partnerschaft!) sich aufmachen, ihre Mitarbeiter den eigenen Erwartungen |202| anzupassen. »Fürchtet euch nicht! Ich bin’s doch nur, euer Chef!«
Alles das ist geboren aus dem Geist des Über-den-Tisch-Ziehens. Es ist geboren aus dem Geist des »Ich weiß was über dich. Aber du weißt nicht, dass ich das weiß. Ich mache jetzt etwas mit dir. Und du weißt gar nicht, wie dir geschieht.« Alles natürlich nur zum Besten des Mitarbeiters. Was aber das Beste ist, das entscheidet der vorgesetzte Feldgeistliche der Manipulation. In Abwandlung eines Tucholsky-Wortes: Hätte ich einen Degen, ich hebte ihn.
Wie aber nun verändern, ohne zu manipulieren, beeinflussen, ohne zu retten, führen, ohne zu entwürdigen? Was ist zu tun, damit
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