Das Prinzip Selbstverantwortung
entwürdigt, indem der Machtaspekt ihn nötigt (nicht zwingt!), sich entsprechend den Maßstäben des Kritikers zu ändern. Der Kritisierte wird daher, um seine Würde zu erhalten, die Kritik ablehnen. Äußerlich geht er wahrscheinlich in die Anpassung, stimmt oberflächlich zu. Aber was ist gewonnen, wenn der andere sich anpasst? Glauben Sie tatsächlich, dass er das konsequenzlos mit sich machen lässt? Er sagt »Ja« und meint »Nein«. Und lässt sich heimlich auszahlen. Jeden Tag ein bisschen.
Menschen sind »homöostatische« Wesen. Sie bringen sich immer wieder ins Gleichgewicht. Wenn Sie, weil Sie Chef sind, den Mitarbeiter abwerten und in die Anpassung jagen, werden Sie dafür die Zeche zahlen. Denn der andere wird sich auf irgendeine Weise revanchieren. Er wird sich wieder ins Gleichgewicht bringen, seine verletzte Selbstachtung wieder aufbauen. Indem er Sie |205| abwertet. Indem er Sie heimlich betrügt. Indem er Ihnen an einem Punkt die Rechnung präsentiert, wo Sie es
unmittelbar
nicht merken. Aber mittelbar spüren – wenn die Produktivität einbricht, die Fluktuation zunimmt, Absentismusraten steigen, überall Jammerzirkel eröffnet werden, der Krankenstand Rekordhöhen erreicht. Den Preis zahlen Sie immer. Jede Buchung hat ihre Gegenbuchung. Sie sehen sie vielleicht nicht sofort, aber Sie können sie an Ihrer Profitrate ablesen.
Jede Problemlösung, die jemanden abwertet oder
herabsetzt, führt nicht weiter.
2. Wenn Sie jemanden kritisieren, d. h. den Machtaspekt ausspielen, laden Sie ihn zur Rechtfertigung ein. Der Kritisierte wird versuchen, seine Position zu verbessern. Dazu wird er Ihnen eine »Geschichte« erzählen. In dieser Geschichte wird er besser dastehen und die für ihn maximal erreichbare Wahrhaftigkeit zugunsten der Ent-Schuldigung verringern. Das nennt man Lügen. Wenn |206| Sie die Lüge aufdecken, beklagen Sie wieder ein Phänomen, das Sie selbst mit herbeigeführt haben.
Dasselbe passiert übrigens bei Kindern: Wenn Sie Kinder anklagen, erzählen diese Ihnen eine tolle Geschichte, die not-wendig (um die Not zu wenden) vom Besser-Dastehen-Wollen eingefärbt ist. Und das ist auch in Ordnung. Schon in der Bibel steht an keiner Stelle: Du sollst nicht lügen. Da steht: Du sollst kein falsches Zeugnis geben … und das ist etwas anderes. Es geht niemals um Wahrheit. Aber immer um Wahrhaftigkeit.
3. Nur der Lernende selbst kann entscheiden, wo seine Lernproblematik liegt. Das können Sie zwar von außen anstoßen, aber wählen muss sie der Mitarbeiter. Es funktioniert nicht, einem Mitarbeiter ein Veränderungsziel vorzugeben, weil es nicht ein (von innen kommendes) »Lern«-Ziel ist, sondern ein (von außen kommendes) »Lehr«-Ziel.
Kritik und Lernen gehen also nicht zusammen. Solange die wirklichkeits-konstruktive Sicht nicht anerkannt wird, solange nicht gewürdigt wird, dass wir nur Aussagen über unser Erleben, nicht aber über Wahrheit machen können, wird es keine lernende Organisation geben. Kritik will Schuldige produzieren, nicht Probleme lösen. Kritik schafft immer Verlierer.
Das Wichtige ist aber: Weil ich mich gegen den so schmerzvoll wahrgenommenen Macht-Aspekt stemme, überhöre ich möglicherweise wichtige Hinweise aus dem Feedback-Aspekt. So werde ich mich niemals ändern. Höchstens anpassen und anschließend auszahlen lassen.
4. Kritik ist Negation. Sie sagt: Tue etwas
nicht
! Das »nicht« ist aber vom Bewusstsein kaum wahrnehmbar. Unser Gehirn kann – nach allem, was wir bisher darüber wissen – das »nicht« offenbar schlecht verarbeiten. Es ist z. B. kaum möglich, an etwas Bestimmtes
nicht
zu denken. Wenn Sie aufgefordert werden, nicht an einen Baum zu denken, dann ist das Erste, woran Sie denken, ein Baum. Unser Gehirn tilgt gleichsam das negative Vorzeichen vor dem Gegenstand. Wenn Sie also etwas nicht tun wollen, setzen Sie sich unentwegt prägend einem Handeln aus, das zu meiden Sie sich gerade entschlossen haben. Sie können einigermaßen sicher sein, dass Sie damit das Handeln verstärken. Aus diesem Grunde scheitern |207| in der Regel auch die eigenen Vorsätze, etwas
nicht
zu tun, bzw. die Aufforderungen an andere, etwas zu unterlassen. Ohne die elementare Voraussetzung einer
positiven
Erwartung sind die Änderungschancen also gering. Aber das ist Gegenstand der Verhandlung, nicht der Kritik.
An dieser Stelle möchte ich noch einmal den Bogen zum Kontext der Selbstverantwortung schlagen: Sie sind nicht auf der Welt, um nach den Erwartungen
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