Das Prinzip Uli Hoeneß
die Trainingsplätze der Profivereine ausstrahlenden Verwöhnungsprozess stoppen, indem man die üblichen Leitmaximen umdreht. »Nicht die Hungrigen sind satt zu machen«, predigte Hoeneß, »sondern es gilt umgekehrt, die Satten hungrig zu machen!« Und er wiederholte diese seine Ansicht immer wieder mit einer Inbrunst, als würde er sich die blühenden Landschaften Deutschlands als einen Acker der Armut wünschen, nur damit dort FC-Bayern-taugliche Talente sprießen könnten.
Damals, als der kommende Weltmeister Uli Hoeneß in Ulm aufwuchs, hatten die Kinder noch kein Skateboard und keinen Tennisschläger, keine Computerspiele und keine MP3-Player. Und damals herrschte unter der Jugend noch großer Hunger nach Erfolg. »Zu meiner Zeit kamen alle guten Spieler aus ganz kleinen Verhältnissen«, wiederholte Uli Hoeneß unentwegt im Ton eines Verkünders neuer Wahrheiten: »Für uns bot der Fußball die Chance des sozialen Aufstiegs.« Und er, der Hungrigste von allen, hatte sie genutzt mit Sinn und Verstand. »Mit 18 Jahren hatte ich als Kapitän der Jugendnationalelf 16 Angebote aus der Bundesliga. Ich habe das schlechteste mit 1.200 Mark Grundgehalt angenommen und mich für den Sport entschieden. Dafür, mit Beckenbauer, Müller und Maier zusammenzuspielen. Ich wusste, das Geld, das kommt dann hinterher.« Er sei bereit gewesen, sich zu bescheiden. »Ich hatte damals als Abiturient 50 Mark Taschengeld und wusste, wohin ich wollte. Dafür habe ich alles getan und alles andere hintangestellt.« Hart sei das gewesen, klar. Jedes Spiel, und auch das Training, habe er als »Überlebenskampf« erlebt, und außer diesem Kampf habe es praktisch nichts anderes gegeben. »Wir dachten früher, das Leben besteht nur aus Fußball, richtig leben können wir dann ab 30. Wir sind um zehn ins Bett und um sieben aufgestanden.«
Jetzt dagegen kämen Achtzehnjährige mit ihren Beratern, empörte sich der auch im Alter von über 50 Jahren immer noch enorm fleißige und hungrige Manager, wollten bereits mit dem ersten Vertrag ihre Existenz sichern und zugleich auch noch ihr Leben sofort und ohne Umwege genießen. »Unsere heutigen Spieler wollen alles ohne entsprechenden Aufwand erreichen. Sie möchten das große Geld verdienen, aber auch übers Wochenende schnell irgendwohin fliegen und während der Woche bis morgens um drei Uhr weggehen wie jeder andere. Da stimmt das Verhältnis nicht mehr.« Die Spieler müssten lernen, insistierte Hoeneß in immer neuen Formulierungen, ihr fürstliches Gehalt als Entschädigung zu begreifen – »für entgangene Muße«, »für entgangene Freizügigkeiten«, »für entgangenen Spaß«, gar »für entgangene Lebensfreude«. Profis sollten durchaus »super verdienen«, damit hatte er nie ein Problem gehabt – aber nur, solange sie die Bereitschaft mitbringen, auf dem Platz alles zu zeigen und zumindest in jungen Jahren privaten Verzicht zu leisten. »Ich sehe nichts Unanständiges darin, wenn ein Spieler viel Geld verlangt. Entscheidend ist, dass das Geld, das er verlangt, in einem gesunden Verhältnis zu dem steht, was er zu leisten bereit ist. Nicht im Verhältnis zu dem, was er kann. Aber ich verlange Leistung gegen Geld.« Früher habe man einen Europacupsieg gebraucht, um Millionär zu werden, heute sei das nicht mehr nötig – und genau darin liege das Problem.
Wie in einer Kaserne sollte es natürlich nicht zugehen beim FC Bayern. Wenn die Leistung stimmte, dann durfte schon mal gefeiert werden. Schließlich hatte auch Hoeneß selbst früher mit Schwarzenbeck, Roth, Beckenbauer, Maier und Müller viel gefeiert. Ein verschworener Haufen war das damals, wie es ihn später kaum noch geben sollte, vielleicht mit der Ausnahme des Erfolgsteams von 2001. Die Stimmung muss passen, war Hoeneß überzeugt, sonst stimmt es auch nicht mit der Harmonie auf dem Platz. Aber: Vor dem Spaß muss eben erst einmal die Leistung erbracht werden. Mannschaftsfeierlichkeiten bei entsprechendem Erfolgsnachweis befürwortete er, wenn allzu laxe Profis jedoch privat über die Stränge schlugen, schritt er vehement ein nach dem Motto »weniger Partys, weniger Bier – mehr Leistung«.
Weniger Luxus, vor allem für die ganz jungen Spieler, war ein weiterer Aspekt des Hoeneß’schen Anti-Verwöhnprogramms. Erst Leistung, dann Nobelkarosse, machte er beispielsweise dem jugendlichen Publikumsliebling »Wiggerl« Kögl klar, als der sich Mitte der achtziger Jahre einen Porsche 911 anschaffen wollte. Kögl musste
Weitere Kostenlose Bücher