Das Prinzip Uli Hoeneß
an jedem Samstag bis zwei oder drei Uhr morgens in die Disko gehen können, ohne dass das irgendjemanden interessiert hätte. Und da hat man sich noch so verhalten können, wie einem gerade war. Damals, in den siebziger Jahren, hat man die Dinge noch direkt geraderücken können, ohne Umweg über die Medien. Etwa so wie bei dieser Geschichte in Bremen, als die Bayern-Stars nach einem Sieg im Weserstadion zur Selbstjustiz gegriffen hatten. Der Mannschaftsbus war kaum vom Stadionparkplatz losgefahren, da war er schon von wütenden Werder-Fans umringt. Sie drohten den Bayern-Stars und bespuckten den Bus, und als dann einer den Scheibenwischer abbrach, ergriffen »Bulle« Roth und Sepp Maier die Initiative. »Die Tür vom Bus geht auf«, erinnerte sich Uli Hoeneß genüsslich, »die beiden packen den und ziehen ihn rein. Da ist der mitgefahren, bis zum Flughafen.« Was dann genau geschah, erzählte er nie. Nur so viel: »Er ist während der Fahrt doch etwas unruhig gewesen.«
Vergessen darf man über solchen Anekdoten natürlich nicht, dass der Fußball und insbesondere der FC Bayern nur durch die Medien einen enormen Popularitätsschub hinlegen konnte. Und problematisch konnte das veröffentlichte Bild bereits damals werden, selbst wenn die Kameras nur in den Stadien standen und nicht auf den Trainingsplätzen. Von der Spielerkarriere des Uli Hoeneß ist das hängen geblieben, was die Kameras am intensivsten eingefangen haben – das waren seine beiden Tore im Europapokal-Endspiel von 1974 gegen Atletico Madrid, und das war der verschossene Elfmeter gegen die Tschechoslowakei im EM-Endspiel von 1976. Genüsslich erinnern sich bis heute alle Hoeneß-Feinde an diesen Moment, als der Ball in den Nachthimmel von Belgrad flog. Grinsend präsentierte einmal der Entertainer Harald Schmidt, der Hoeneß immer wieder mal gern auf die Schippe nahm, in seiner Sendung die Szene. »Uli Hoeneß, da war doch was … «
Jeder Fußballfan entsprechenden Alters erinnert sich bis heute an diese Szene. Uli Hoeneß und er hätten »viele Dinge gemeinsam«, so der Sänger Campino. »Die Nacht von Belgrad 1976 etwa, in der er den Elfmeter verschossen hat, als es um die Europameisterschaft ging. Das werde ich nie vergessen.« Und jeder sah damals das, was Breitner sah, der die Szene in Madrid gemütlich vor dem Fernsehschirm verfolgte: »So wie du angelaufen bist, wusste ich gleich, dass der drüber geht.« Bis heute ist Uli Hoeneß neben dem Bremer Michael Kutzop, der im Saisonfinale 1986 seinen Strafstoß gegen die Bayern an den Pfosten setzte, der berühmteste Elfmeter-Versager des deutschen Fußballs. Während Kutzop heute kaum noch jemand kennen würde, wenn er damals getroffen hätte, muss Hoeneß hinnehmen, dass die Szene, die ihn zu einer Medien-Ikone des Scheiterns machte, immer wieder und wieder wiederholt wird. Kaum einer dürfte besser wissen als er: Die Medien können nicht nur Helden schaffen, sondern auch das Scheitern potenzieren und damit Opfer produzieren. Uli Hoeneß’ Waterloo heißt »Belgrad«.
Uli Hoeneß mochte über sein Versagen am liebsten gar nicht mehr sprechen. Wenn Journalisten ihn danach fragten, flehte er: »Bitte nicht!« 15 Jahre nach dem Ereignis, anlässlich des Europapokal-Halbfinalspiels zwischen Roter Stern Belgrad und dem FC Bayern am 23. April 1991, brachte ihn dann aber doch einer dazu, die Betonstufen im Stadion von Belgrad hochzusteigen, um den Landeplatz des ominösen Balles anzuzeigen. Lästermäuler hatten behauptet, er habe den Ball aus der Arena hinaus gedroschen, und er wollte beweisen, dass es ganz so schlimm denn doch nicht gewesen war. »Die Kraft für solch einen weiten Schuss«, erklärte er, »hatte ich gar nicht mehr.«
Damals, an diesem traumatischen 20. Juni 1976, dachte er dem Ball im Nachthimmel noch stundenlang hinterher. Sein Fehlschuss ließ die bittere Erinnerung an einen zwei Jahre zuvor geschehenen Schreckensaugenblick wieder aufblitzen: den verschossenen Elfmeter gegen Polen bei der WM 1974, als er eine Sekunde zu lang überlegt und nur ein schwaches Schüsschen zustande gebracht hatte. »Beim Elfer kann man nur verlieren«, hatte er damals seinen Fehler kommentiert. »Ist der Ball drin, heißt es, dazu gehört nicht allzu viel. Ein Kinderspiel für einen Profi. Ist er nicht drin, hat man kläglich versagt.« Und die Konsequenzen des Versagens können extrem unterschiedlich ausfallen. Damals, gegen Polen, hatte es keine Konsequenzen gehabt, denn Deutschland hatte am Ende
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