Das Prinzip Uli Hoeneß
worüber geschrieben wurde, auch unwidersprochen über den verschnupften Daum, dann kann er nicht Bundestrainer werden.« Zwar habe er noch keinen Beweis, aber er wolle sich später nicht den Vorwurf machen, »wider besseres Wissen« sein »Maul nicht aufgerissen« zu haben. Als Empfehlung gab er aus: »Wenn sich in drei Monaten die privaten Vorwürfe und der ganze Schmarrn erledigen lassen und Herr Daum nachweisbar zu Unrecht beschuldigt wurde, wenn sich die Situation zu Gunsten von Herrn Daum entwickelt, dann kann man den Vertrag immer noch schließen.«
Als der Artikel erschien, war Uli Hoeneß nicht mehr erreichbar, denn er war kurz nach dem Interview mit seiner Frau zu einem Kurzurlaub nach Spanien aufgebrochen. Und während er sich in Marbella auf dem Golfplatz entspannte, brach in Deutschland ein Sturm der Entrüstung los, der durch alle Zeitungen und Fernsehsender tobte. In der Tagesschau wurde die Affäre Daum/Hoeneß ein Nachrichtenthema, als der Hamburger Anwalt Matthias Prinz im Namen Daums gegen Hoeneß Strafanzeige wegen Verleumdung und übler Nachrede stellte. Dem Bayern-Manager blies plötzlich ein mächtiger Wind entgegen. DFB-Vize und Bayern-Präsident Franz Beckenbauer wurde in der »Abendzeitung« in dicker Schlagzeile zitiert: »Daum-Affäre: Beckenbauer: ›Mit seiner Meinung steht Uli im Moment allein da.‹« Der Manager von Bayer Leverkusen, Reiner Calmund, bezeichnete die Hoeneß-Aussagen als »ungeheuerlich, infam und hinterlistig« und verlangte eine »vorbehaltlose Entschuldigung«, denn seiner Meinung nach könne an den Vorwürfen nichts dran sein: »Wenn es so wäre, hätte ich etwas mitbekommen.« Der geschäftsführende DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder sprach von einer »empörenden Kampagne«. Paul Breitner gab im Bayerischen Fernsehen seinen Senf dazu und prophezeite, dass die Bundesliga Uli Hoeneß »rausmobben« werde, wenn sich die Anschuldigungen gegen Daum als haltlos erweisen sollten. Der seriöse »Kicker« brachte die allgemeine Stimmungslage wohl am besten auf den Punkt: »Hat Hoeneß Beweise, muss er sie auf den Tisch legen! Falls nicht, ist seine Attacke infam und schadet dem Ansehen des deutschen Fußballs.«
Uli Hoeneß bekam in Spanien von dem aufziehenden Sturm nur die Ausläufer mit, ließ aber vorsichtshalber schon einmal einen Teil seiner Aussagen dementieren: Von Erpressungsversuchen und Prostitution habe er nie gesprochen. Daum wies derweil alle Drogenvorwürfe vehement zurück: »Es war nie etwas und wird nie etwas sein.« Als von der »Süddeutschen Zeitung« und Bayern Münchens Vizepräsident Fritz Scherer ein Drogentest in Form einer Haaranalyse ins Spiel gebracht wurde, um Klarheit in die Sache zu bringen, zögerte Daum nicht lange und erklärte seine Bereitschaft, sich freiwillig einem solchen Test zu unterziehen. Am Abend desselben Tages, dem 6. Oktober, gab der aus Spanien zum Länderspiel nach London angereiste Hoeneß ein Kurzinterview und wurde am nächsten Tag in der »Bild« mit den Worten zitiert: »Es werden sich in den nächsten Tagen noch viele Leute bei mir entschuldigen.« Die Diskussion, ob ein Bundestrainer Daum überhaupt wünschenswert sei, wurde indes im Londoner Wembley-Stadion sportlich beantwortet. Deutschland bezwang im WM-Qualifikationsspiel England mit 1:0, die »Bild« kommentierte: »Rudi Riese – King of Wembley – Wie schade – er sitzt nur noch vier Mal auf der Bank«.
Was war dran an den Gerüchten um Daum, fragten sich alle. »Die Gerüchte um Daum gibt es doch schon lange«, wusste nicht nur Beckenbauer. Im Juni 1995 war in der »Welt am Sonntag« erstmals der Verdacht ausgesprochen worden, Daum sei ein Konsument von Kokain, und die seitdem nie ganz verstummten Vermutungen wurden nun allenthalben frisch aufgewärmt und mit neuen Mutmaßungen angereichert. Im Gewirr der Wortmeldungen gab es abstruse Vermutungen, ernsthafte Erwägungen und ehrliche Bestürzung, garniert mit humoristischen Äußerungen über die »haarige« Angelegenheit mit dem »verschnupften« Daum – und im Ergebnis zwei Opfer. Während auf der einen Seite der sich hin- und herwindende Christoph Daum immer mehr zu einer Witzfigur herabgewürdigt wurde, sah sich Uli Hoeneß unversehens in der Rolle des Bösewichts, der die ganze Sache losgetreten habe. Dem Manager wurde eine persönliche Aversion gegen den alten Lieblingsfeind Daum nachgesagt, dazu kam die Unterstellung, die Attacken gegen Daum würden indirekt auf Gerhard Mayer-Vorfelder
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