Das Prinzip Uli Hoeneß
mit 1:0 gewonnen. Deswegen, und nur deswegen, erinnert sich heute kaum jemand mehr an dieses Versagen. »Heute spricht niemand mehr davon, hätten wir das Spiel nicht gewonnen, wäre ich auf ewig der Verlierer der Weltmeisterschaft gewesen.« Trotzdem, hatte sich Hoeneß nach dem Polen-Fehlschuss gedacht: »Wenn es Helmut Schön verlangt, versuche ich es wieder!« In Belgrad hatte er es wieder versucht, und wieder hatte er versagt. Nur: Dieses Mal war er zum Verlierer der Europameisterschaft geworden, und deswegen hatte ihn sein Versagen in die tiefste Einsamkeit gestürzt.
Nie zuvor hatte er sich so einsam gefühlt wie in den Stunden nach diesem Ereignis. »Allein lag ich da«, schilderte er die Situation von damals, »hoch oben im 16. Stock des Hotels Jugoslawia in Belgrad. Sie hatten mich alle allein gelassen. Und ich war froh darüber. Ich wollte niemanden mehr sehen. Ich hatte nichts angerührt vom Abendessen, ich hatte den Rotwein stehen lassen und den Sliwowitz, mit dem sich die Deutschen den Kummer hinunterspülten. Sie hatten mir alle auf die Schulter geklopft. ›Macht nix, Uli‹, hatten sie fast alle gesagt, ›hätte mir auch passieren können.‹ Und dennoch spürte ich in allen den vorwurfsvollen Blick. Ich konnte verstehen, dass sie sauer waren, dass die Enttäuschung abgrundtief war.« Alle hatten sie getroffen, bis eben auf ihn, und deswegen waren die Tschechoslowaken Europameister geworden. »Deshalb lag ich jetzt da hoch oben – alleine. Mein Zimmerkamerad Bongartz schwirrte noch irgendwo durch Belgrad. Durch mein Hirn schwirrten Gedanken, Vorwürfe. Ich wollte schlafen, aber ich lag mit offenen Augen da und phantasierte.« Im Traum, so Hoeneß, habe er das Spiel noch einmal nachgespielt. »Ich spürte noch mal die Müdigkeit in den Beinen. Bleischwer schleppte ich sie über den Rasen. Die Saison war lang gewesen. Mein rechtes Knie war zweimal operiert worden. Ich hatte mich noch mal aufgebäumt – ein halbes Jahr lang. Aber jetzt zählte ich wie ein angeschlagener Boxer die Runden. Ich beobachtete Bonhof, der im D-Zug-Tempo durch die tschechoslowakischen Abwehrreihen brauste. Und ich sah mich ohnmächtig daneben stehen – mich, der ich dem Bonhof vor drei Monaten davongerannt war, der ihn lächerlich gemacht hatte.«
So ganz aus heiterem Himmel war das Versagen also nicht gekommen, und ein wenig Gnade, wollte Hoeneß mit seiner Schilderung wohl ausdrücken, habe er schon verdient. Und immerhin hatte er damals, was zu erwähnen er nicht vergaß, viel prominenten Trost erhalten, der dem Ereignis ein wenig von seinem bitteren Nachgeschmack nahm. Die positive Reaktion aus der deutschen Bevölkerung sei geradezu überwältigend gewesen. »Zu Hause lagen Telegramme von Franz Josef Strauß und von Helmut Kohl. Ich hatte aus meiner Sympathie zu ihnen nie ein Hehl gemacht. Jetzt sprachen sie mir Trost zu. Das sind Freunde.« Geblieben ist dann aber auf Dauer nicht der Trost der Freunde, geblieben ist auch nicht die Häme der schreibenden Zunft – der »Spiegel« hatte von einem »Hamlet« geschrieben, dessen »blendende physische Verfassung sich beim leisesten psychischen Widerwind trübt wie angehauchtes Glas« –, geblieben ist vielmehr die Fernsehszene, der wohl niemals die Gnade des Vergessens beschieden sein wird: der wie eine Rakete in den Nachthimmel steigende Ball und ein geknickter Uli Hoeneß.
Die Affäre Daum
Als Elfmeter-Versager ist Uli Hoeneß zum ersten Mal ein Opfer der Medien geworden. Das ganze Ausmaß dessen, was einem Opfer der Medien geschehen kann, sollte er jedoch erst viele Jahre später erfahren. Drei Wochen im Oktober 2000 gerieten zu einem wahren Alptraum. Der erfolgsverwöhnte Fußballmanager sprach von der »schlimmsten Zeit« in seinem Leben, davon, dass ihn diese Geschichte »fast gekillt« hätte, und davon, dass man die Chance gesucht habe, »diesen Hoeneß, der für viele ein Problem ist, endlich am Boden zu haben«. Die Rede ist von der Kokain-Affäre um Christoph Daum, in deren Verlauf Uli Hoeneß als böser Bube, Verleumder und Rufmörder an den Pranger gestellt wurde. »Das war eine gezielte Kampagne, gesteuert von bestimmten Leuten, um mich zu zerstören oder mein Image zu beschädigen«, war er sich noch Jahre später sicher, und meinte damit vor allem die Boulevardmedien, die ihn mit einem regelrechten Vernichtungswillen verfolgten.
Als geradezu »brutal« empfand er den Hass, der ihm nach seinen berechtigten Fragen zu Daums möglichem Drogenkonsum
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