Das Programm
beendet. Also hatte Eric in dem Test starke psychopathische Tendenzen erkennen lassen. Er versteckte sie gut unter seiner Gewandtheit, seinem Charme, seiner scheinbaren Offenheit. Aber Dr. Horwath hatte keinerlei Zweifel gehabt. Sie waren vorhanden. »Sie hat gesagt, es war Eric.«
»Damit dürfte die Sache klar sein.« Duncan atmete hörbar aus. »Also, was tun wir jetzt? Gehen wir zur Polizei?«
»Ich weiß nicht«, sagte Chris. »Es ist schwierig. Zunächst einmal fragt sich, an welche Polizei wir uns wenden sollen. Wir haben es mit drei Morden in drei verschiedenen Ländern zu tun, keiner wurde in England verübt. Außerdem haben wir nicht genügend Beweise. Eric würde nicht sofort verhaftet werden. Die Polizei würde eine lange und komplizierte Untersuchung beginnen. Eric würde sich in den drei Ländern die besten Anwälte nehmen, die dafür sorgen würden, dass er auf freiem Fuß bliebe. Und in der Zwischenzeit wären wir alle drei in Gefahr – du, Megan und ich. Vielleicht bekäme die Polizei nie genügend Belastungsmaterial zusammen, um ihn zu überführen, und selbst wenn, wären wir wahrscheinlich schon tot, bevor sie ihn endlich einsperren würden.«
»Verstehe«, sagte Duncan. »Aber wir können nicht untätig herumsitzen und warten, bis der nächste tot ist. Was ist mit Lenka? Und mit Ian und Alex? Wenn Eric sie umgebracht hat, können wir ihn nicht einfach davonkommen lassen.«
»Ich weiß nicht, was wir sonst tun könnten«, sagte Chris.
»Ich schon«, sagte Duncan, Entschlossenheit in der Stimme.
»Nein, Duncan«, sagte Chris. »Gut, ich hatte Unrecht, als ich annahm, du hättest Ian erstochen, aber ich hatte nicht Unrecht mit der Auffassung, dass es eine Dummheit gewesen wäre. Sie würden dich erwischen. Außerdem bringt man keine Menschen um, Duncan, auch nicht, wenn sie Eric heißen.«
»Ich bewundere deine moralischen Grundsätze, Chris. Aber wenn wir nichts unternehmen, bringt er uns alle um.«
Chris wusste, dass Duncan Recht hatte. »Schon gut, schon gut. Vielleicht sollten wir zur Polizei gehen. Das ist ein Risiko, aber wie du ganz richtig sagst, nichts zu tun, ist auch eins. Allerdings möchte ich vorher mit Megan sprechen. Ich sehe sie heute Abend.«
»Warum musst du mit ihr sprechen?«
»Weil sie genauso in Gefahr ist, wenn Eric herausfindet, was wir tun.«
»In Ordnung«, sagte Duncan. »Machen wir’s auf deine Art. Sprich mit ihr, und dann gehen wir zur Polizei. Aber sei um Gottes willen vorsichtig.«
Gewandt legte Marcus die lange Abfahrt zum See zurück. Mit leisem Knirschen glitten seine Langlaufski über den Neuschnee, der letzte Nacht gefallen war. Der Himmel war klar und blau, und die Landschaft lag in absoluter Stille, seinem Lieblingsgeräusch. Er hielt kurz am Ufer des gefrorenen Sees, der sein Gewicht noch ein paar Wochen tragen würde. Das halbe Dutzend Sommerhäuschen, das ihn umgab, lag im Winterschlaf, Schnee auf den Dächern und die Gärten unberührt. Dann lief er hinaus auf den See; mühelos glitten die Ski über die schneebedeckte Eisfläche. Dies war der Ort, wo er am liebsten nachdachte, wo er seine Batterien auflud. Der Anstieg zurück zum Haus war lang und anstrengend, aber es war die Mühe wert.
Die Kälte vertrieb seine Müdigkeit. In der Nacht hatte er schlecht geschlafen und empfand die warme Hütte, die ihm sonst so gemütlich erschien, wie ein Gefängnis. Auch Angie war ihm auf die Nerven gegangen. Natürlich versuchte sie nur, ihm zu helfen, aber er musste sich selbst über die Sache klar werden.
Das musste einfach sein. Die Schuldgefühle über den Verlust von Bruder und Mutter quälten ihn seit zehn Jahren. Als er anfing zu fragen, was Alex wirklich zugestoßen war, hatte er einen Prozess in Gang gesetzt, den er nun nicht mehr stoppen konnte. Es verhielt sich buchstäblich so, dass er erst Ruhe finden würde, wenn er ihn zu Ende gebracht hatte.
Er war sich allerdings nicht ganz sicher, was das hieß. Herausfinden, wer Alex umgebracht hatte, gewiss. Und dafür sorgen, dass der Betreffende seine Strafe erhielt. Doch was für eine Strafe, das war ihm noch nicht klar. Er wusste, was er tun wollte. Was er seinem Empfinden nach tun musste. Aber er war noch nicht bereit, es sich einzugestehen.
Zum hundertsten Mal ließ er das Gespräch mit Eric Revue passieren, und zum hundertsten Mal überkam ihn unbändige Wut. Wie konnte Eric es wagen, darauf zu pochen, dass er seiner Mutter geholfen hatte und dass er ärgerlich gewesen war, weil Marcus
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