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Das Prometheus Projekt

Das Prometheus Projekt

Titel: Das Prometheus Projekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker C Dützer
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Schlitten, dann wischte er sich mit einem Lappen das Waffenöl von den Fingern. Die Sonnenstrahlen zauberten bunte Schlieren in allen Regenbogenfarben auf den Lauf.
    Sehner hielt seine Dienstwaffe stets unter Verschluss. Die Pistole lag in einem kleinen, abschließbaren Waffentresor im Garderobenschrank. Es war eine Zeit, in der die Welt noch stiller war und das allgegenwärtige Gepiepe und Gedudel der Mobiltelefone noch in ferner Zukunft lag.
    Das Telefon stand im Esszimmer auf einem Regal neben der Tür. Und in diesem Moment klingelte der alte Bakelitapparat.
    Sehner legte die geputzte Waffe auf den Küchentisch, runzelte die Stirn und eilte hinüber ins Esszimmer. Sie erhielten nicht viele Anrufe, und etwa jeder zweite Anruf war dienstlich.
    Sehner hatte nie herausgefunden, wer jenen verhängnisvollen Fehler begangen hatte, die falsche Nummer zu wählen. Es machte keinen Sinn, darüber nachzugrübeln, dass ein fremder Finger im falschen Loch der altmodischen Wählscheibe dem Leben seines fünfjährigen Sohnes ein Ende gesetzt hatte.
    In der Leitung klickte es, als er sich meldete. Wachtmeister Sehner legte auf, murmelte „Blödmann“ und kehrte in die Küche zurück. Das Bild, das sich ihm dort bot, hatte sich für immer in seinen Kopf eingegraben: Der kleine Michael stand neben dem Küchentisch. Er trug den dunkelblauen Schlafanzug mit den gelben Sternen, den er so gernemochte und aus dem er langsam herauswuchs. Er hielt Sehners Dienstwaffe in der Hand und untersuchte sie neugierig.
    Sehner hatte unzählige Male darüber nachgedacht, ob Michael noch leben könnte, wenn er besonnener reagiert hätte. Er würde es nie erfahren. Sehner schrie, der Junge erschrak und ein Schuss löste sich. Die Kugel zerfetzte den Schlafanzug und die gelben Sterne und traf Michael ins Herz. Er war sofort tot.
    Immer und immer wieder hatte Sehner dieses Bild vor Augen, auch wenn es in den letzten Jahren verblasst war. Seit er vor der Glasscheibe gestanden und auf den halbtoten Frank Jeronek gestarrt hatte, war das Bild so frisch und klar, als wäre das Unglück erst gestern geschehen.
    Ein Scheppern riss ihn aus seinen Gedanken. Aus der Sakristei trat eine grauhaarige Frau in den Altarraum. Sie trug einen rosafarbenen Kittel und hielt einen Schrubber in der Hand. Sehner seufzte, stand auf und ging ihr entgegen.
    „Guten Morgen!“, begrüßte er sie.
    Sie erwiderte seinen Gruß. „Wenn Sie beichten wollen, müssen Sie heute Abend wiederkommen. Die Vertretung für Pfarrer Wildenberg wird erst in ein paar Stunden eintreffen.“
    Sehner suchte in den Taschen seines Trenchcoats nach dem Polizeiausweis. „Ich will nicht zum Pfarrer, sondern zu Ihnen.“
    „Zu mir?“
    Sehner hielt ihr den Ausweis unter die Nase. „Hier gibt es doch sicher einen Ort, an dem wir uns ungestört unterhalten können?“
    DieFrau sah ihn hilflos an. „Aber was wollen Sie denn von mir? Ich habe doch unserem Herrn Pfarrer nichts getan!“
    Sehner winkte ab. „Sie kannten ihn doch sicher gut, nicht wahr? Ich möchte Sie bitten, mir etwas über Wildenberg zu erzählen. Was für ein Mensch war er? Mit wem pflegte er Kontakt? Wer waren seine Freunde?“
    Sie stellte den Eimer ab und nickte. „Ich verstehe. Kommen Sie, gehen wir hinüber ins Pfarrhaus.“
    Sehner folgte ihr durch einen Seitenausgang der Sakristei ins Freie. In der Küche des Pfarrhauses taute Wildenbergs Haushälterin auf. Sie kochte eine Kanne Kaffee und stellte eine Schale mit selbstgebackenen Keksen auf den Tisch. Sehner begann sich unerwartet behaglich zu fühlen. Er hatte den Mantel abgelegt, knabberte an den Keksen und wartete darauf, dass sie ihm Kaffee eingoss. Die Situation war so entspannt, dass er plötzlich Mühe hatte, nicht zu vergessen, warum er hier war. Im Angesicht dieser intakten kleinen Welt erschien der bestialische Mord ihm wie ein schlechter Traum.
    „Was war Wildenberg für ein Mensch?“, fragte Sehner und goss Milch in seine Tasse.
    „Er war unser Pfarrer“, antwortete die Haushälterin und setzte sich an Tisch.
    „Aber hinter jedem Amt steckt doch ein Mensch?“
    Sie wischte sich die Hände an der Schürze ab und überlegte. „Er war sehr ernst. Ja, das kann man sagen. Er nahm seine Arbeit sehr wichtig. Wissen Sie, heute gibt es eine Menge Pfarrer, die sehr modern sind. Ich meine, wir Alten sind das nicht gewohnt.“
    „Was meinen Sie mit modern?“
    Sie nahm sich einen Keks. „Naja, sie gehen mit der Zeit. Siehalten Messen mit moderner Musik ab, sie

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