Das Prometheus Projekt
anzuziehen.
„Wozu die Verkleidung?“, fragte er.
„Es ist mir lieber, wenn uns keiner erkennt“, antwortete Sehner. Im Zweifelsfall kann ich mich auf meinen Polizeiausweis berufen, aber unsere kleine Aktion soll nicht die Runde machen.“ Er stieg zusammen mit Engelmann in den Wagen und startete den Motor. „Ich bin meinen Gegnern immer gerne einen Schritt voraus.“
„Wohin geht’s denn?“, fragte Engelmann.
„Du wirst es gleich sehen“, antwortete Sehner lächelnd. Der Pathologe seufzte, lehnte sich zurück und schob den Hut in die Stirn. Sehner liebte es, seine Geheimnisse erst im letzten Augenblick preis zu geben. Man musste ihn nehmen, wie er war.
Als der Wagen eine Viertelstunde später über die Zufahrt zum Friedhof rollte, sagte Engelmann: „Ich hab’s geahnt. Darf ich dich daran erinnern, dass wir zusammen hundertsiebenundzwanzig Jahre auf dem Buckel haben? Wenn wir beideeinen Sarg aus zwei Metern Tiefe buddeln, können wir uns hinterher gleich mit in die Grube legen. Außerdem macht man so etwas stilgerecht um Mitternacht.“
Sehner zeigte sein bärbeißiges Lachen. „Keine Sorge. So schlimm wird es nicht werden. Ich war heute Nachmittag schon mal hier. Und mein Verdacht hat sich bestätigt.“ Er parkte den Wagen vor der Friedhofsmauer. „Auch gegen kurz nach elf werden wir hier keinen Menschen antreffen.“
„Zumindest keinen lebenden“, brummte Engelmann. Er nahm seinen Koffer vom Rücksitz und sah zu, wie Sehner eine Plastiktüte aus dem Kofferraum holte, in der es geheimnisvoll klapperte. Dann stapften sie beide los. Es regnete leicht und beständig, die Nässe tropfte von Koniferen und Grabsteinen.
Sehner fand sich auf den stockdunklen Friedhof gut zurecht. Nach fünf Minuten standen sie vor der Gruft der Familie von Alsbach.
„Wer hätte gedacht, dass es so was heute noch gibt“, meinte Engelmann. Sehner stieg die verwitterten Steinstufen hinab und öffnete das Eisengitter.
„Jemand war vor uns hier.“ Er zeigte dem Pathologen die durchtrennte Kette. „Und ich wette, ich weiß, wer das war.“
Er stieß die Tür zur Gruft auf. Das Schloss war ebenfalls beschädigt. „Unser Unbekannter hat mit einem Stemmeisen die Tür aufgehebelt.“ Sehner knipste eine Taschenlampe an und leuchtete die Wand ab, bis der Lichtstrahl die Grabplatte von Christina Sykes erfasste.
„Die Platte ist nachträglich neu eingesetzt worden. Das Grab wurde geöffnet.“
Engelmann hockte sich neben ihn. „Christina Sykes. Du meinst, Dr. Sykes hat das getan?“
„Wer sonst hätte einen Grund dazu?“ Sehner packte das Werkzeug aus und begann vorsichtig, den Mörtel aus der Fuge zu meißeln. Er brauchte keine zehn Minuten dazu, der Zement war feucht und brüchig.
„Hilf mir, Walter. Die Platte ist verflucht schwer.“ Gemeinsam wuchteten sie die Marmorplatte aus der Öffnung und zogen schwitzend den Eichensarg heraus.
„Jetzt bist du dran“, sagte Sehner. Er reichte Engelmann die Lampe und zog sich unauffällig zurück. Möglicherweise irrte er sich ja, und in dem Fall verspürte er keine Luft, einen Blick in den Sarg zu werfen.
„Du willst doch wohl nicht kneifen, Edgar“, sagte Engelmann schmunzelnd. Er öffnete seinen Koffer, warf Sehner einen Mundschutz zu und setzte selbst einen auf.
„Du bist der Spezialist.“
Engelmann drehte er die Schrauben aus dem Sarg und schob den Deckel zur Seite.
„Was ist? Was siehst du?“, fragte Sehner gespannt. Er stand nahe dem Eingang und blickte hinaus. Der Friedhof war still und verlassen.
„Schau’s dir selbst an“, sagte Engelmann. „Ich würd’s nicht glauben, wenn du’s mir erzählt hättest!“
Sehner überwand sich und trat näher. Im Schein der Taschenlampe blickte er auf den Inhalt des Sarges: Zwei Säcke Zement und drei Ziegelsteine.
„Das dürften zusammen ziemlich genau fünfundfünfzig Kilo sein.“ Engelmann richtete sich auf. „Du brauchst keinen Pathologen, sondern einen Maurer. Ich schätze, jemand ist dir zuvor gekommen!“
Sehnerbeugte sich über den Sarg und versuchte, ein Loch in den Zementsack zu bohren. Er schüttelte den Kopf. „Der Zement ist steinhart. Die beiden Säcke liegen schon seit zwei Jahren in der Gruft.“
Engelmann schloss den Sarg wieder. „Und was schließt du daraus?“
Sehner schob die Unterlippe vor. „Wir sind auf eine Riesenschweinerei gestoßen. Da sind mir einige Leute eine Erklärung schuldig.“
Engelmann schüttelte den kahlen Schädel und nahm seinen Hut ab. „Ich will dich
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