Das Prometheus Projekt
lautlos wieder die Stufenhinab. Im Dunkeln presste sie sich mit dem Rücken an die kalte Betonwand und lauschte mit angehaltenem Atem. Sie musste wissen, was mit Josua geschehen war.
„Sie haben zwei Möglichkeiten, Dr. Hussek“, hörte sie Gideon sagen.
„Ich werde Ihnen gar nichts verraten. Sie töten mich doch sowieso!“, brüllte Hussek.
Durch den Türspalt sah Miriam, wie er an dem Nylonseil zerrte.
„Sie werden jetzt meine Fragen beantworten. Dann gewähre ich Ihnen einen leichten, schnellen Tod. Wenn Sie sich weiterhin weigern, werden Sie große Schmerzen erleiden, Dr. Hussek.“
Hussek wurde aschfahl. Gideon spielte mit einer elektrischen Bohrmaschine. Miriam sah seine Hand und den blitzenden Bohrer, der sich Husseks Knie näherte. Der Wissenschaftler schrie auf.
„Hören Sie auf! Machen Sie die Bohrmaschine aus. Ich sage Ihnen, was Sie wissen wollen!“
Miriam stand zitternd in der Dunkelheit und lauschte Husseks Bericht: Blue Q. Prometheus. Die Erschaffung eines neuen Menschengeschlechts. Genetik und Toxoplasmose. Josua.
Adam 1.0.
Eve 1.0.
Sie schlug sich entsetzt die Hand vor den Mund. Wenn der Täufer jemals herausfand, dass sie hinter dieser Tür gelauscht hatte, war sie genauso tot wie der Wissenschaftler, der in diesem Moment unter Gideons zornigen Hammerschlägen starb.
27 Religionsunterricht
27
Religionsunterricht
Obwohl Sehner seit über vierzig Jahren in der Gegend wohnte, verfuhr er sich dreimal, ehe er das ehemalige Internat gefunden hatte. Das weitläufige Gebäude in Form eines gestreckten Hufeisens lag in einem engen Tal weit abseits der viel befahrenen Bundesstraßen. Der Kommissar stellte den Passat auf einem Parkplatz im Schatten einer ausladenden Buche ab und machte sich auf eine Zeitreise gefasst. In seinem Kopf erschienen Bilder von Frauen in bodenlangen Röcken aus grobem Stoff, und Männern mit Strohhüten und derben Latzhosen. Ärgerlich versuchte er die vorurteilsbehafteten Gedanken zu verjagen; er wusste, dass die meisten Sekten heutzutage viel subtiler zu Werke gingen und neue Anhänger mit ausgefeilten Psychotricks an sich ketteten.
Sehner schlug den Kragen seines Mantels hoch und ging mit schnellen Schritten durch einen Torbogen. Wie immer, wenn er es eilig hatte, benutzte er dabei seine Arme wie zwei Paddel.
An der grau verputzten Wand prangte ein Bronzeschild mit einem Bibelspruch. Sehner las die Worte nur flüchtig.
„ Lasst euch taufen mit dem Wasser der Umkehr!“
„Information. Sei willkommen“, stand auf einem Hinweisschild.
Sehner klopfte an die Glasscheibe zur Linken. Dahinter saß eine junge Frau, die den Vorstellungen Sehners ziemlich nahekam. Sie trug ein sackartiges Kleid von stumpfer grauer Farbe, ihr dunkles Haar war streng gescheitelt und nach hinten gekämmt. Sie sah auf und öffnete die Scheibe.
„Was kann ich für Sie tun?“, fragte sie freundlich. Sie strahlte eine Art dummheiterer Glückseligkeit aus. Sehner hasste diesen merkwürdig entrückten Ausdruck auf ihrem Gesicht. Er kannte ihn von streng gläubigen Menschen. Stets waren sie zufrieden, demutsvoll und entspannt. Sehner musste sich beherrschen, um die Frau nicht kräftig durchzuschütteln. Vielleicht gingen ihr dann endlich die Augen auf und sie konnte den faulen Zauber endlich erkennen, der ihr den Kopf verdrehte.
„Ich möchte Ihren …“, beinahe hätte er ,Chef’ gesagt. Er räusperte sich verlegen. „Wer ist hier zuständig?“, fragte er stattdessen.
„Wofür?“, fragte sie, noch immer selig lächelnd. Sehner zog seinen Dienstausweis hervor und hielt ihn an die Scheibe. „Sie haben doch sicher eine Leitung hier? Einen Oberen oder…“
„Sie meinen den Täufer!“
Sehner grummelte: „Wenn er hier etwas zu sagen hat, ja. Dann also den Täufer.“
Sie griff nach dem Telefonhörer. „Ich will schauen, ob er Zeit für Sie hat. In welcher Angelegenheit möchten Sie den Täufer sprechen?“
„In einem Mordfall“, erwiderte Sehner gereizt. Aber auch dieser drastische Hinweis brachte die Frau nicht aus der Ruhe. Sie drehte ihm den Rücken zu und sprach leise in den Hörer. Nach einer Weile legte sie auf und erhob sich.
„Sie haben Glück. Der Täufer ist früher mit der Morgenandachtfertig geworden als üblich. Sonst hätten Sie warten müssen.“
Sie trat durch die Tür neben der Glasscheibe und trippelte mit kleinen Schritten vor ihm her. Der Kommissar folgte ihr durch endlose Gänge und Treppenfluchten. Das Gebäude war größer als
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