Das Prometheus Projekt
einer Kathedrale.
Was er dort sah, war nichts anderes als ein riesiger Computerchip. Anstelle einer organischen Gehirnmasse besaß diese Frau ein künstliches Implantat, das es nach menschlichem Ermessen gar nicht geben durfte.
4 Das blinkende Herz
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Das blinkende Herz
„Überleg es dir noch mal. Ich fühle mich auf jeden Fall sicherer so“, sagte Lisa. Sie schob den Kaugummi in die andere Backe und zwinkerte einem älteren Mann zu, der langsam an ihnen vorbeifuhr. Er hatte die Seitenscheibe seines Mercedes heruntergelassen und betrachtete die beiden Frauen mit einer Mischung aus Unsicherheit und Verlangen.
„Warum soll ich diesem Idioten die Hälfte abgeben?“, fragte Jenny zurück. „Ich habe nicht vor, bis zur Rente frustrierte Familienväter zu befriedigen.“
Lisa lehnte sich an die Mauer und kaute schweigend. Heute Abend war nicht viel los. Ein Fußballländerspiel im Fernsehen war ein echter Lustkiller.
„Ich sag’ dir, warum“, fuhr Lisa fort. „Es gibt ne Menge durchgeknallte Typen und Perverse. Liest du keine Zeitung? Jede Woche steht da ne neue Schauergeschichte über einen Irren, der ne Nutte aufgeschlitzt hat. Nee danke.“
„Und du glaubst wirklich, dass dieser Leonardo dich beschützen kann?“, fragte Jenny zweifelnd. Lisa zuckte mit den Schultern. „Klar. Mit Leo legt sich keiner an!“
Jenny schüttelte den Kopf. „Warum nennt der Typ sich Leonardo? So heißt doch kein Mensch!“
„Er sieht aus wie eine von diesen Marmorstatuen, du weißt schon.“ Lisa grinste. „Außerdem ist er nett.“
Jenny warf ihr einen misstrauischen Blick zu. „Und weil er so nett ist, verprügelt er dich ständig?“
„Manchmal gehen eben die Pferde mit ihm durch. Das ist sein italienisches Temperament.“
Jenny ersparte sich einen Kommentar. Sie hatte eine andere Vorstellung von Temperament. Außerdem konnte sie gut auf sich selbst aufpassen. Die meisten Typen waren sowieso harmlos: geile Mitfünfziger, die es noch mal krachen lassen wollten, oder verklemmte Typen, die zu schüchtern waren, um sich eine Freundin zu suchen, und ab und zu Dampf ablassen wollten. Natürlich gab es auch die Perversen, denen es Spaß machte, einer Frau weh zu tun. Aber Jennys sechster Sinn funktionierte tadellos und filterte diese Männer sofort aus. Davon war sie überzeugt.
Jenny schlenderte ein Stück die Straße hinab. Sie wollte unauffällig weg von Lisa. Ihre Freundin suchte sich mit absoluter Treffsicherheit die falschen Freier aus; Kerle wie Leonardo.
Jenny steckte sich eine Zigarette in den Mund und kramte in ihrer Handtasche nach dem Feuerzeug. Als sie keines fand, beschloss sie, zu Lisa zurückzukehren. Jenny drehte sich um und erschrak so heftig, dass sie leise aufschrie und die Zigarette aus ihrem Mundwinkel fiel. Der große Mann hatte sich ihr genähert, ohne dass sie es bemerkt hatte.
„Hi“, sagte sie nervös. Er antwortete nicht und sah sie mit einem seltsam starren Blick an. Das war nicht weiter ungewöhnlich. Viele Männer waren unsicher, wenn Jenny sie ansprach; selbst so große Kerle wie dieses Prachtexemplar.
Lisa wartete in ein einiger Entfernung und machte große Augen. Sie hatte Jennys Verehrer entdeckt und war sichtlich beeindruckt.
„Wie heißt du denn?“, fragte Jenny, um das Eis zu tauen. Ergab keine Antwort.
Jenny schätzte ihn mit routinierten Blicken ab. Er war groß, mindestens ein Meter fünfundneunzig. Sein Gesicht war auf eine herbe Art schön: Ein kräftiges, kantiges Kinn, eine breite Nase und Augen, die tief in den Höhlen lagen. Die breite Stirn wölbte sich über die Augenpartie, als sei sie aus einer dicken Knochenplatte herausgemeißelt worden. Sein Haar war so kurz rasiert, dass davon nur ein blonder Schimmer übrig war. Er trug löchrige Jeans, die über den Boden schleiften, und ein schwarzes T-Shirt, das ihm zwei Nummern zu klein war. Jenny betrachtete fasziniert die Muskelpakete unter dem vom Nieselregen durchnässten Stoff. Sie mochte durchtrainierte Männer.
Etwas in seinen Augen irritierte sie. Obwohl sie hell und klar wie ein Gebirgsbach waren, loderte in ihnen ein Feuer, das sie nervös machte.
„Machst einen auf cool, was?“, fragte Jenny. Sie konnte es sich nicht verkneifen, bewundernd mit den Fingern über die breite Brust zu streichen. Sie trat dicht an den Riesen heran und hob den Kopf. Er ragte über ihr auf wie ein Turm. Der sechste Sinn in Jennys Kopf schrie und tobte, aber sie drängte ihn in den Hintergrund. Man konnte diesen
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