Das Prometheus Projekt
Zeit vergangen war. Der Riese stand noch immer vor ihr, seine Hand lag schwer auf ihrer Brust. Na endlich , dachte sie.
Jenny zwinkerte ihm zu. „Fühlt sich gut an!“
Sie drückte seine Hand fester auf ihre Brust und bewegte sie langsam im Kreis. Jenny schloss die Augen und genoss seine Berührung. Er starrte sie wortlos an und zog seine Hand zurück.
„Seele?“, fragte er mit heiserer Stimme.
„Hä?“, machte Jenny.
„Seele? Da drin?“, fragte er und zeigte auf ihre Brust.
Jenny grinste. „Nee, da ist schon lange keine Seele mehr drin. Aber wir können ja mal nachschauen!“ Mit flinken Bewegungenstreifte sie ihr Top ab.
Das schien ihn zu verwirren. Jenny runzelte die Stirn. Hatte der Typ überhaupt eine Ahnung, was sie von ihm wollte?
„Sag mal, hast du eigentlich Geld?“, fragte sie. „Kohle? Flocken?“ Sie rieb Zeigefinger und Daumen aneinander.
Der Riese streckte blitzschnell die Arme aus. Obwohl Jenny überrascht einen Schritt zurückstolperte, bekam er sie mühelos zu fassen. Und diesmal war die Berührung weder zart noch sanft. Ihr Kopf fand sich plötzlich im eisenharten Griff eines Schraubstocks wieder.
„Du tust mir weh!“, rief sie ärgerlich und versuchte sich zu befreien. Von einer Sekunde zur anderen war die Panik da. Das war kein Spiel mehr und der große Junge war überhaupt nicht harmlos.
Lisa gefiel der Typ nicht. Sie wanderte zur Häuserecke und blickte immer wieder misstrauisch zu Jennys Wohnmobil hinüber. Natürlich hatte Jenny Recht. Lisa klammerte sich an die falschen Typen. Leonardo war ein Schläger, ein Zuhälter und er nahm sich, was ihm gefiel. Lisa zahlte für ihre fragwürdige Sicherheit einen hohen Preis. Dennoch, Leonardo war ein Schwein, aber er war berechenbar. Der Typ mit dem rasierten Schädel und der halbmondförmigen Narbe am Kopf war irre, genau jene Art Mann, um die Jenny angeblich mit sicherem Instinkt einen Bogen machte.
Lisa folgte ihrer Freundin im Schatten der Häuserfront des alten Fabrikviertels und drückte sich in der Nähe von Jennys Wohnwagen herum. So konnte sie wenigstens Alarm schlagen, wenn etwas passierte.
Eine Viertelstunde lang stand sie sich jetzt die Beine in denBauch, ohne dass ein Laut aus dem Wohnwagen nach draußen gedrungen war. Wenn man erwürgt wird, schreit man nicht , dachte sie.
Lisa reckte den Kopf und spähte durch einen Spalt in dem roten Vorhang. Sie konnte Jenny nicht direkt sehen, aber ihr Abbild in dem großen Spiegel, der an der Längswand schräg über dem Bett hing. Zwei große Hände tauchten scheinbar aus dem Nichts auf und umklammerten Jennys Kopf. Sie öffnete den Mund und schnappte nach Luft wie ein Silvesterkarpfen im Fischernetz. Im nächsten Augenblick färbten sich ihre weit aufgerissenen Augen blutrot, zwischen den Fingern des Kerls spritzte helles Blut hervor. Lisa wich entsetzt zurück. Ihr Herz hämmerte so hart gegen ihre Brust, als wolle es zerspringen. Hier konnte auch Leonardo nichts mehr ausrichten. Sie schrie gellend auf und rannte voller Panik die Straße hinab.
Edgar Sehner rieb sich die Müdigkeit aus den brennenden Augen und stieg ächzend die Stufen hinauf. Er war jetzt seit annähernd zwanzig Stunden im Dienst. Rechnete er seine unbezahlten Überstunden zusammen, hätte er schon längst in Pension gehen können.
In dem engen Wohnwagen war es stickig. Der schwache Geruch billigen Parfums wurde überlagert von dem sauren Gestank nach Angst und Blut. Sehner fand kaum einen Platz zum Stehen, denn drei Kollegen der Spurensicherung waren damit beschäftigt, die Tote zu fotografieren und das Wohnmobil nach den Spuren eines Kampfes zu durchsuchen. Walter Engelmann kniete neben der Toten auf dem Boden und schüttelte ungläubig den Kopf.
Sehnerließ sich auf einem wackligen Hocker nieder und blickte Engelmann abwartend an. „Und?“
Engelmann zuckte mit den Schultern. „Das wird immer bizarrer. Viel kann ich dir noch nicht sagen. Ich habe ja noch nicht mal den Obdachlosen von letzter Nacht auf meinem Tisch gehabt.“
Er nahm die rechte Hand der Toten und untersuchte die Fingernägel. „Es sieht nicht so aus, als habe ein Kampf stattgefunden. Sie hat sich nicht gewehrt.“
„Du meinst, sie hat den Täter gekannt, ihm vertraut?“
„Ich weiß es nicht“, antwortete der Pathologe gereizt. „Gib mir ein bisschen Zeit.“
Sehner nickte müde. „Woran ist sie gestorben?“
Engelmann setzte sich auf das Bett, das einzige Möbelstück, das breiter als einen halben Meter
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