Das Puppenzimmer - Roman
hingegen war mir ein bisschen mulmig bei der Vorstellung. Selbst ein rostiger kleiner Schlüssel hätte in diesem Moment so viel Sicherheit bedeutet … Ich spähte einmal schnell den Flur entlang, aber die einzige Tür, in der von außen ein Schlüssel steckte, führte dann doch nur in den Leinenschrank. Alle anderen Türen sahen aus wie meine. Das beruhigte mich etwas. Ich hätte weniger Schauerromane lesen sollen, sie machten unnötig schreckhaft.
Besser, ich zog mich schnell um und ging unter die Leute, um auf andere Gedanken zu kommen. Wenn jemand die Treppe hinaufstiege und über den Flur ankäme, würde ich es schon hören. Mein Zimmer lag ganz am Ende des Ganges, das ließ mir genug Zeit zum Reagieren.
Klopfenden Herzens öffnete ich den Kleiderschrank, und da war es, mein weißes Kleid. Zusammen mit seiner Nachbarin zur Linken, meinem zweiten weißen Kleid, und zur Rechten, einem dritten von der Sorte.
Sie sahen auf den ersten Blick gleich aus, und ich zögerte, mich für eines zu entscheiden – lieber nahm ich sie alle drei heraus und legte sie auf mein Bett, um sie etwas besser betrachten zu können, aber selbst dann glichen sie sich immer noch wie ein Ei dem anderen. Sie waren auch allesamt gleich groß, und ich hoffte, dass sie mir passen würden – woher sollte die Mistress, oder wer auch immer die Kleider ausgewählt hatte, wissen, wie groß ich war, es sei denn, Mr. Molyneux hatte gleich nach einem Mädchen von bestimmter Länge gesucht? Ich hängte zwei der Kleider zurück in den Schrank. Bei der Frage, wohin mit meinem alten, war ich einen Moment lang unschlüssig – ich ahnte schon, dass ich es nie wieder tragen würde. So legte ich es nur sauber über das Fußende des Bettes, nachdem ich einmal hinausgeschlüpft war. Vielleicht konnte man es mit der Post nach St. Margaret’s zurückschicken.
Zumindest meine Unterwäsche behielt ich an. Das weiße Leibchen würde unter dem neuen Kleid niemand zu sehen bekommen, und meine Unterhosen reichten ja auch nur bis knapp übers Knie, da konnte man bestenfalls noch den Saum erahnen, aber wirklich, würde jemand nach meinen Unterhosen fragen? Auch auf meine schwarzen Strümpfe wollte ich nicht verzichten. Wenn schon ein weißes Kleid, dann doch zumindest mit schwarzen Strümpfen. Ehe ich ganz in Weiß ging, musste viel passieren. Dann zog ich mir mein neues Kleid an – es hätte schlimmer kommen können. Nach dem prinzessinnenhaften Rüschenkleid der Lady hatte ich mindestens mit einem Korsett gerechnet. Keine Ahnung, wie ich da hätte hineinkommen sollen, allein und ohne fremde Hilfe. Mein eigenes Kleid hingegen war zwar altmodisch und verspielt, aber mehr für ein Mädchen denn eine Frau gemacht, und so musste ich zumindest nicht mit Fischbein kämpfen. Die Ösen am Rücken zu schließen, war schwer genug, aber wer zum Zirkus wollte, musste mit so etwas zurechtkommen. Ein wenig Verrenken war zumutbar.
Ich löste meine Zöpfe und fühlte, wie meine Kopfhaut vor Erleichterung seufzte. Mit den Fingern entwirrte ich die Strähnen, denn ich fand weder Kamm noch Bürste, beließ es bei dem, was herauskam, und stellte mir vor, wie mein Haar in üppigen Locken über meine Schultern auf meinen Rücken fiel. Es war nicht kastanienbraun, sosehr ich mir das auch wünschen mochte, oder rot oder golden, nur ein ziemlich mausiges Staubblond, und die Locken würden schnell wieder verschwunden sein, aber zumindest schrie nicht mehr jeder Zoll meines Körpers » Waisenmädchen « .
Und dann stand ich da in meinem weißen Kleid, blickte an mir hinunter und versuchte, mein Spiegelbild in dem völlig blinden Spiegel am Waschtisch zu erkennen. Es war entsetzlich. Ich erkannte mich nicht wieder. Dass ein weißes Kleid so viel ausmachen konnte! Da retteten mich auch die schwarzen Strümpfe nicht. Und wohin sollte ich mit meinen Händen, wenn ich keine Schürze hatte? Eben noch war ich so glücklich und selbstsicher gewesen, jetzt fühlte ich mich wie ein Häufchen Elend. Ich sah aus wie eine Apfelblüte – alles an mir war blass, bis auf meine Haare, die plötzlich fast schwarz wirkten, was nicht nur an dem Licht liegen konnte und an den ungewohnten Locken und daran, dass ich zu lange keine Sonne mehr gesehen hatte. Das, was mich aus dem Spiegel anstarrte, löchrig und verschwommen, konnte ebenso gut die Weiße Frau sein, die in diesem Haus umging, und ich floh vor ihr und machte mich mit Beinen, die plötzlich zitterten, auf den Weg nach unten.
Es war eine Sache,
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