Das Puppenzimmer - Roman
von einer steinalten Dienerin betreut.« Der Blick, den er über den Raum wandern ließ, war kalt, aber solange er den Tapeten galt und nicht mir, bekam ich keine Angst. »Wir haben in den letzten Wochen unser Möglichstes getan, das Erbe unserer Tante aufzuarbeiten, aber für einige sehr spezielle Aufgaben sind wir auf ein Mädchen wie dich angewiesen.«
Ich lernte schnell, und so hielt ich meinen Mund und fragte nicht, warum sie ausgerechnet ein Waisenmädchen brauchen sollten. Nach allem, was ich gesehen hatte, benötigten sie einen Gärtner, aber das war nicht gerade mein Spezialgebiet, und niemand wäre auf die Idee gekommen, mich solch anspruchsvolle Arbeit machen zu lassen. Aber sonst? Ich hoffte auf Erklärungen und wollte nicht wieder wegen Zwischenredens zurechtgewiesen werden.
Mein Schweigen brachte mir ein leises Lächeln von Mr. Molyneux ein. »Du wirst noch erfahren, was für eine Aufgabe wir für dich vorgesehen haben. Vorher ist etwas anderes wichtiger.«
»Verschwiegenheit«, sagte die Lady. »Und das heißt nicht nur, dass du keine Fragen zu stellen hast. Alles, was du erfahren sollst, wirst du erfahren, und bei allem, was du nicht zu wissen hast, werden dir auch keine Fragen helfen. Aber wir erwarten dein Versprechen, dass du für dich behältst, was wir dir mitzuteilen haben. Das Personal wird versuchen, durch dich die Geheimnisse der Molyneux’ zu erfahren und die Geheimnisse von Hollyhock – aber du wirst schweigen. Was du siehst und hörst, behalte für dich. Kein Schwätzen mit den Hausmädchen, kein heimliches Tagebuch, denn auch vor dem würden diese neugierigen Geschöpfe nicht haltmachen. Es gibt kein sicheres Versteck vor ihren Augen. Und was Briefe in deine Heimat angeht –«
»Sie hat keine Heimat«, entgegnete ihr Bruder kalt. »Sie ist ein Waisenmädchen.«
Ich biss mir auf die Lippen. Das ging nun doch etwas zu weit. Ich hatte kein Bedürfnis, irgendjemandem in St. Margaret’s zu schreiben, und niemand dort hätte das von mir erwartet: Wer einmal das Waisenhaus verlassen hatte, der war fort und kam nicht wieder, daran waren wir gewöhnt. Aber all das ging Mr. Molyneux nichts an. Und wenn er es so genau wissen wollte, war ich kein Waisenkind. Oder nur vielleicht. Ich war ein Findelkind. Irgendwo konnte ich Familie haben. Doch dass es sich dabei um die Familie Molyneux handeln sollte, wurde immer unwahrscheinlicher.
»Also wirst du es schwören«, sagte die Lady, und ihre Stimme blieb süß dabei. »Du weißt, was das ist? Ein Eid, als wärst du vor Gericht?«
Ich nickte. Bei Gericht war ich noch nie gewesen, aber ich kannte selbstverständlich Eide. Einen schwören zu müssen war vielleicht etwas dick aufgetragen, ein Versprechen hätte es sicherlich auch getan; ich war nicht dafür bekannt, mein Wort zu brechen, aber ich verstand, dass sie der Sache mehr Nachdruck verleihen wollten. »Ich schwöre«, sagte ich und hob meine Hand, »bei –«
»Still!«, unterbrach mich Mr. Molyneux. »Du wirst schwören, wann und wie wir es dir sagen.« Einen Moment lang blitzte Zorn durch, und das war mehr an Gefühlen, als ich bis jetzt an ihm erlebt hatte. »Wir haben dir schon unser Vertrauen entgegengebracht, als wir dich in unser Haus holten – du tätest gut daran, das nicht schon jetzt zu verspielen.«
»Besser jetzt als später«, erwiderte ich spitz, »noch weiß ich ja nichts, was ich verraten könnte, und wenn Sie mich nicht haben wollen …« Es musste viel passieren, ehe ich so meine Grenzen überschritt, aber ich hatte auch meinen Stolz, und ich wollte mich nicht mit meiner eigenen Dankbarkeit erpressen lassen – dieses Spiel hatte ich schon spielen müssen, seit ich denken konnte; irgendwann sollte es einmal ein Ende haben. In diesem Augenblick war mir sogar egal, wenn ich jetzt in meinem weißen Kleid vor die Tür gesetzt wurde; ich würde mich schon irgendwie durchschlagen. Aber ausgerechnet jetzt fingen beide Molyneux-Geschwister an zu lachen – leise, aber dennoch. Lachten sie mich aus? Oder wollten sie mir nur beweisen, dass doch Leben in ihnen war?
»Nun, einen halben Eid hast du bereits geleistet«, sagte die Lady. »Dich bindet dein Wort, schon jetzt. Und glaube mir, wir haben große Sorgfalt in deine Auswahl gesteckt. Du wirst unser Haus nicht mehr verlassen, keine Angst.« Es klang fast wie eine Drohung.
Ich starrte auf meine Teetasse. Plötzlich empfand ich Demut und wusste nicht, wo sie herkam. »Ja, Lady Violet«, sagte ich leise.
Auch darüber lachte
Weitere Kostenlose Bücher