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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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geeignet, jemanden auf schöne Gedanken zu bringen, als die Aussicht, andernfalls ermordet zu werden!
    Wie lange ich mit der Puppe sprach, wusste ich nicht. Irgendwann spürte ich, dass es zu nichts führen würde, wenn ich sie weiterhin nur als Puppe sah, als ein kaltes und totes Ding, und so kämpfte ich meine Angst nieder und sah sie an als das, was sie in Wirklichkeit war – es trieb mir wieder die Tränen in die Augen. Dieser unfassbare Hass! Wie konnte eine Seele – ein Ding voll Schönheit, gottgegeben – sich in so etwas Schreckliches, Hässliches, Entstelltes verwandeln? Was musste sie durchgemacht haben in ihrem Leben? Ich weinte für uns beide. Ich konnte sie nicht retten. In 100 Jahren vielleicht, falls ich so alt werden sollte und die Seele bis dahin nicht aus ihrem Kokon gebrochen war. Vielleicht, wenn ich Feenstaub gehabt hätte … Aber selbst das half nicht gegen alles. Feenstaub konnte keinen unglücklichen Menschen glücklich zaubern – die Wirkung würde so schnell verfliegen wie ein falsches Lächeln. Wir waren verloren. Wir waren beide verloren.
    »Bitte«, flehte ich. »Wenn es etwas gibt, irgendetwas, das ich für dich tun kann, dann sag es mir. Etwas, das dir hilft zu begreifen, was Liebe ist!« Die Antwort hallte in meinem Kopf wider. Nicht wie eine Stimme, mehr wie ein Gedanke, leise, ängstlich, ungläubig, voll aufgegebener Hoffnung.
    Gib mir Frieden .
    Am nächsten Morgen beim Frühstück war ich reizbar und zittrig. Vielleicht lag es daran, dass ich in der Nacht nicht geschlafen hatte, vielleicht an der Erkenntnis, dass ich die Seelen nicht retten konnte – und dass alle Pläne, heldenmütig die Arbeit zu verweigern, daran scheiterten, dass die Seelen, zumindest diejenige, mit der ich die Nacht verbracht hatte, gar nicht gerettet werden wollten – nur erlöst. Ich versuchte, mir einzureden, dass es dann kein Mord mehr war, aber es half nichts, bei der Vorstellung bekam ich immer noch Alpträume.
    Ich hatte nicht vor, auch nur ein Wort über die Puppen fallen zu lassen, und hoffte, dass Rufus das Thema nicht mehr ansprechen würde, aber als ich das Zimmer betrat, kam Blanche auf mich zugeeilt. Sie schien zu riechen, dass es mir nicht gutging – das, oder die dunklen Ringe unter meinen Augen verrieten mich –, und ohne auch nur ein Wort zu sagen, nahm sie mich in den Arm und drückte mich an sich wie eine Freundin. Trotzdem, ich wurde stocksteif bei der Berührung: So hatte ich in der Nacht mit der Puppe dagestanden, ich hatte alles versucht und sie doch nicht retten können …
    »Keine Angst«, flüsterte Blanche mir ins Ohr. »Ich bin für dich da, was immer auch passiert.«
    Ich entwand mich ihrer Umarmung, obwohl ich wusste, dass sie es nur gut mit mir meinte, und dass ich mich freuen sollte, dass es auch Feen gab, denen meine Gefühle nicht egal waren. Doch ich wollte nicht darüber reden müssen, nicht hier, vor Rufus und Violet. Rufus ignorierte mich zwar geflissentlich, aber Violet guckte schon so …
    »Danke«, sagte ich, »aber mir geht es gut.«
    Blanche sah mich an, und ich wusste, dass sie mir kein Wort glaubte. Es war mir egal, aber gerade, als ich mich endlich hinsetzen wollte, nahm sie mich bei den Schultern, zog mich noch einmal zu sich heran und küsste mich, ohne Vorwarnung, mitten auf den Mund. Entsetzt stolperte ich rückwärts, während Blanche vor Entzücken kaum noch zu halten war.
    »Was machst du da?«, fauchte ich, und einen Moment lang war es mir egal, dass mich alle anstarrten, sogar Rufus.
    Blanche kicherte. »Wenn dich eine Fee küsst, bringt das Glück –«
    Violet brachte sie mit einem eisigen Blick zum Schweigen. »Wir küssen auf die Stirn, nicht auf den Mund«, sagte sie.
    Blanche zuckte die Schultern. »Von mir aus … Wo willst du hin, Florence?«
    Ich riss mich los und verschanzte mich in der Sicherheit meines Sessels, bevor sie es noch einmal versuchen konnte. Nicht, dass ich etwas gegen den Kuss an sich gehabt hätte, noch nicht einmal, dass er von einem anderen Mädchen kam, aber Blanche war sich nicht bewusst, dass sie mit den Lippen einer Toten küsste. Mit dem Ärmel rieb ich mir über den Mund und versuchte, das grässliche Gefühl von Kälte und Moder wegzubekommen. Blanche schmeckte vielleicht nicht nach Verwesung, aber es reichte mir aus, Bescheid zu wissen. Vielleicht sollte Rufus seine Pläne doch ändern und andere Körper für die Feen finden, die noch nicht tot und auf dem Weg ins Grab waren …
    »Spart euch die

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