Das Puppenzimmer - Roman
eben alle Diener verzaubert, dann war Alan eben mein zukünftiger Feind. Aber eine Sache konnte ich nicht wegstecken, und das war die Aussicht, töten zu müssen. Ich konnte das nicht, wollte es nicht können. Ich würde es nicht tun. Sie konnten mich nicht zwingen. Und wenn sie sich auf den Kopf stellten, sie konnten mich nicht einfach so zu einer Mörderin machen.
Es war mein Leben, mein Gewissen, meine Gabe, und daran würde sich nichts ändern. Von mir aus sollte dies das Ende meiner Zeit in Hollyhock besiegeln. Ich wusste, dass Rufus nicht hinnehmen würde, wenn ich die Arbeit verweigerte, aber was sollte er tun? Mich auf die Straße setzen, nach St. Margaret’s zurückfahren und das nächste Mädchen mitnehmen, das in Wirklichkeit eine Fee war? Bis er irgendwann, nach einer Reihe von Fehlversuchen, eine gefunden hatte, die seine schmutzige Arbeit verrichtete …
Ich schüttelte den Kopf. Das konnte nicht die Lösung sein. Wenn am Ende einfach ein anderes Mädchen kam und die Seelen tötete, was war gewonnen? Nichts. Ging es mir nur darum, kein Blut an meinen Händen zu haben, oder ging es mir darum, dass die Seelen am Leben blieben? Wenn ich jetzt aufgab, würde sich nichts ändern. Ich musste kämpfen, für mich und für die Puppen – selbst wenn es bedeutete, mich gegen alle Feen der Welt zu stellen. Selbst dann, wenn es hieß, niemals zu erfahren, wer ich wirklich war. Wenn ich entscheiden musste, was ich sein wollte, Fee oder Mensch, dann wollte ich ein Mensch sein, ein Mensch, der für das kämpfte, was er liebte – auch wenn ich selbst noch nicht genau wusste, was das sein sollte, oder wer …
Ich konnte es mir leichtmachen. Ich konnte zu Alan rennen – ich wusste jetzt ja, wo er zu finden war – und ihm verraten, was Rufus von mir verlangte, und Alan würde sich in einen Ritter in glänzender Eisenrüstung verwandeln und in die Schlacht reiten, bis es keine einzige Fee mehr gab in Hollyhock – aber das war nicht der richtige Weg. Die Puppen gehörten mir, und die Seelen darin auch. Das war nicht Alans Kampf, es war mein eigener, und es ging nicht darum, jemanden zu vernichten, weder die Seelen noch die Feen. Es konnte immer noch der Tag kommen, an dem es Zeit war, ihn um Hilfe zu bitten, aber nicht, ehe ich nicht alles Menschenmögliche und mehr getan hatte, um die Seelen zu retten. Ich hatte nur keine Ahnung, wie ich das anstellen sollte.
Während um mich herum die Nacht voranschritt, fand ich keine Ruhe. Ich wusste nicht, wie spät es war, doch an Schlaf war nicht einmal zu denken. Wenn ich einschlief, würde mir mein Gewissen keine Gnade gewähren, und meine Träume fürchtete ich schon jetzt. Besser, ich blieb wach, erleichtert, dass mein Kopf immer noch klar war und meine Glieder leicht, aber es nahm nicht die Schuld von mir, die mich zu Boden drückte. Ich hatte mich zur Komplizin gemacht, schon als ich dieses Zimmer zum ersten Mal betreten hatte, und jetzt musste ich es ausbaden. Ich ging vor den Puppen auf und ab, strich ihnen über das Haar, über die Gesichter – ich sagte mir, dass die Zeiten, als ich nur eine Puppe am Tag berühren durfte, hinter mir lagen, seit ich wusste, was sie in Wirklichkeit waren, und wo es nicht sie tröstete, tat es das für mich.
Aber ich durfte mir nichts vormachen: Das war keine Lösung für mein Problem. All die sanften weißen Puppen, all die friedlichen guten Seelen, konnten mir nicht helfen. Sie waren nicht in Gefahr, und was aus den anderen wurde, konnte ihnen gleich sein. Aber die bösen Puppen, die oben auf der Vitrine saßen, aus den Augen verbannt und aus dem Sinn, waren es, die mich gerade wirklich brauchten. Ich konnte nicht auf der einen Seite darauf bestehen, dass sie leben mussten, und mich auf der anderen Seite weigern, mich ihnen auch nur zu nähern. Ich fühlte meine Hände zittern, als ich hinging und die Arme nach der nächstbesten von ihnen ausstreckte – ich wusste, was mich erwartete, und es gab kein schrecklicheres Gefühl im Leben, nicht einmal im schlimmsten Alptraum. Aber ich hatte eine Verantwortung, und ich musste mich ihr stellen, auch wenn es weh tat.
Ich konzentrierte mich sehr darauf, nur die Puppe zu sehen und nicht die Seele, aber das machte es keine Spur einfacher. Sie war eine kleine Schönheit in einem weinroten Kleid, eine samtene Schleife um den Hals, das blonde Haar unter einem Rüschenhäubchen verborgen, und ich hätte schwören können, dass sie lächelte, als sie mich nach ihr greifen sah. Ich stellte mich
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