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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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die Erste?«, fragte Violet. »Bist du sicher, dass sie dazugehört?« Ich nickte mit zusammengekniffenen Lippen. Dass sie das noch fragen musste! Was immer man über Blanche sagen konnte mit ihrer Flatterhaftigkeit, wenigstens war sie feinfühliger. »Dann geh und folge Rufus!«
    Erst dachte ich, dass er mit mir zurück ins Puppenzimmer gehen wollte, denn Rufus betrat den Flur, der auf der einen Seite in die Bibliothek führte und auf der anderen in das versperrte Zimmer. Aber stattdessen blieb er mitten im Gang stehen und drehte sich zur Wand. Ich blinzelte und brauchte einen Moment, um auf die Idee zu kommen, meinen Blick auf die Feensicht zu wechseln. So sah ich die Tür erst, als Rufus sie schon geöffnet hatte. Sie erschien mir nicht anders als alle anderen Türen im Erdgeschoss mit ihren geschnitzten Verzierungen – aber sie war nur da, wenn ich mir die andere Wirklichkeit ansah. Sonst gab es dort nichts als eine fliederblaue Tapete. Hinter der Tür begann noch ein Flur …
    Mein Herz fing an zu hämmern, dieses Mal nicht vor Angst, sondern vor Aufregung, guter Aufregung. So oft hatte ich mich schon gefragt, was in den angebauten Teilen des Hauses war; man konnte von außen nicht hineinschauen, und ich hatte nie einen Weg gefunden, der hineinführte. Kurz fragte ich mich, ob ich auf diese Weise auch in den Irrgarten finden konnte, aber zum einen war ich dort schon einmal gewesen, und zum anderen konnte ich noch so sehr versuchen, mich auf andere Gedanken zu stürzen, es würde nichts an meiner jetzigen Situation ändern. Ich war auf dem Weg in den Anbau, nicht um die Geheimnisse von Hollyhock zu ergründen, sondern um eine Seele zu töten. Und es gab wirklich keinen Grund zur Freude.
    Der Flur sah aus wie der Rest des Hauses. Irgendwie hatte ich erwartet, in eine geheime Feenhöhle geführt zu werden, aber das Haus tat mir diesen Gefallen nicht. Doch ich konnte fühlen, dass hier seltener jemand war. In der Luft lag ein Geruch von altem Staub, es war muffig und abgestanden, doch ich hätte auch schwören können, dass es wärmer war als im Rest des Hauses. Die Lampen waren bereits angezündet, als hätten sie auf uns gewartet. An der Wand hingen ein paar gerahmte Photographien, aber Rufus ging mit langen Schritten voran, und ich konnte nicht stehen bleiben, um sie mir anzusehen. Vielleicht war Miss Lavender auf einem der Bilder oder ihre Familie. Ich nahm mir vor, später noch einmal wiederzukommen, nachdem ich einmal wusste, dass der Flur existierte. Jetzt ging es erst einmal auf die Tür am Ende des Flurs zu. Und auf einen Schlag packte mich unglaubliche Angst vor dem, was sich dahinter befinden würde.
    Das Zimmer hinter der Tür war so anders als der Rest des Hauses, dass ich mir plötzlich nicht mehr sicher war, mit welchen Augen ich gerade die Welt sah. Der Teil von mir, der eine Fee war, wusste nichts mehr über das Leben auf der anderen Seite – noch nicht einmal der Name regte etwas in mir, Anderland … Aber auch ohne eine Erinnerung daran erkannte ich, dass man hier ein Stück des Feenreiches in unsere Welt geholt hatte. Es sah immer noch aus wie ein Zimmer, es hatte immer noch einen Fußboden, Decke, Wände, Fenster; es war immer noch ein Teil von Hollyhock, aber was meinen Blick sofort gefangen nahm, war das Feuer.
    Es brannte nicht im Kamin, sondern mitten im Zimmer – eine Feuerstelle, in der die Flamme jeden Augenblick ihre Farbe zu ändern schien. War das Feuer erst noch rot und gelb, wie ich es kannte, wurde es im nächsten Augenblick blau und violett. Es gab nur das Feuer selbst, kein Brennmaterial, und noch nicht einmal den Fußboden schien es anzusengen. Es gab auch keinen Rauch. Nur diese wunderbare Wärme, die sich um mich legte wie eine zweite Haut, mich liebkoste und mir sagte, dass ich zu Hause war. Als hätte ich mein ganzes Leben lang gefroren, war nun endlich mein Herz im Warmen. Ich hatte nur noch Augen für dieses Feuer. Und wenn ein Elefant im Zimmer gestanden hätte, ich hätte ihn nicht bemerkt. Nur dieses wunderbare Feuer, das lautlos brannte …
    »Ich muss dir nicht sagen«, hörte ich Rufus’ Stimme aus weiter Ferne, »dass du niemandem, der nicht einer von uns ist, jemals von diesem Raum erzählen wirst.«
    Ich nickte, ehe er auch nur zu Ende gesprochen hatte. Rufus musste mir nicht mehr sagen, was das war. Feenfeuer. Das Allerheiligste im Haushalt einer Fee. Als hätte die Wärme etwas in mir aufgeschlossen, das so lange versperrt gewesen war wie mein Medaillon,

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