Das Puppenzimmer - Roman
Schritt zurück und drückte die Puppe wieder an mich, als müsse ich sie vor Rufus beschützen. Zumindest versuchte ich, von ihr immer noch als Puppe zu denken. In diesem Raum, wo das Feenfeuer brannte, konnte ich nur noch den Kokon sehen, aber wenn ich jetzt auch noch daran dachte, dass ich eine menschliche Seele auf dem Arm hielt …
»Vorher«, redete Rufus weiter, »wirst du die Seele im Feenfeuer abtöten.« Mein Gesicht musste ihm mein Entsetzen verraten, denn er fuhr mit sanfterer Stimme fort: »Sie erlösen. Es geht schnell und schmerzlos. Wir haben darüber gesprochen. Es muss sein. Mach es dir nicht schwerer, als es ist. Hier.« Er reichte mir etwas, das aussah wie eine zu groß geratene Zuckerzange. Ich musste nicht fragen, was ich damit tun sollte: den Kokon greifen und ins Feuer halten. Meine Hand zitterte. Ich konnte die Zange nicht nehmen, bis Rufus zu mir herüberkam und sie mir direkt in die Finger drückte.
»Wird … wird der Kokon nicht verbrennen?«, fragte ich, als ob es das war, worauf es ankam.
»Nein«, sagte Rufus. »Das Feuer verbrennt keinen Feenstoff. Deine Hände hingegen – das sind Feenhände, aber es ist Menschenfleisch. Sieh zu, dass du nicht direkt mit dem Feuer in Berührung kommst. Es würde nicht viel von deinem Körper übrig lassen.« Er sagte es ganz beiläufig, nicht wie eine Warnung, sondern als einfache Feststellung, aber mich überlief bei seinen Worten ein kalter Schauder, der für einen Moment die Wärme des Feuers zunichtemachte. »Dann nimmst du den Kokon aus dem Feuer, legst ihn in das Bassin, bis er beginnt, sich aufzulösen, und wenn du einen einzelnen Faden zu fassen bekommst, nimm diese Spule hier und wickele ihn auf. Wenn du fertig bist, komm zu mir und gib mir die Spule. Hast du verstanden?«
Die Spule sah aus, als ob sie aus Holz bestand, aber sie hatte überhaupt kein Gewicht. Ich wusste nicht, wo ich sie hinlegen sollte – ich konnte ja schlecht alles gleichzeitig in der Hand behalten, Zange, Spule, Puppe … Das war mir irgendwie alles zu viel. Ich schüttelte den Kopf. Verstanden, was Rufus meinte, hatte ich wohl, aber nicht, wie ich das alles unter einen Hut bringen sollte.
Rufus seufzte. »Was du gerade nicht brauchst, darfst du weglegen. So schwer ist das doch nicht! Ich denke, du stellst dich nur so an, um dich doch noch vor der Arbeit zu drücken. Den Gefallen tue ich dir nicht. Du wirst dieses Zimmer nicht verlassen, bis du mir eine Spule mit Traumseide bringen kannst. Das ist ein Befehl.«
Das Letzte hätte er nicht mehr sagen müssen, ich fühlte es auch so, als hätte er einen Stempel in mein Herz gedrückt. Ich erkannte den Zauber – es war der gleiche, mit dem Blanche mich schon einmal herumzukommandieren versucht hatte, aber Rufus war nicht so dumm, den einen Befehl gleich mit dem nächsten zu überschreiben. Stattdessen ging er und ließ mich zurück. Ich hörte, wie die Tür hinter ihm zufiel. Er schloss sie nicht ab– doch das änderte nichts. Ich wusste, dass ich festsaß, bis ich meinen Auftrag erledigt hatte. Aber wenigstens würde mich jetzt niemand mehr streng anblicken, wenn ich etwas auf dem Fußboden ablegte. An nichts anderes im Zimmer wagte ich mich heran, noch nicht einmal an die Truhe, aus der Rufus die Dinge genommen hatte.
Ich hatte keinen Grund, mich zu beeilen. Rufus hatte mir nur befohlen, es zu tun, nicht, wie schnell es gehen sollte. Ich hatte Zeit, mich innerlich vorzubereiten, und vor allem, Abschied zu nehmen. Wie ich es aus dem Puppenzimmer gewohnt war – auch nachdem die Molyneux’ mir halbherzig einen Stuhl hingestellt hatten und Platz auf dem Sofa geschaffen war –, setzte ich mich auf den Boden: Ich kniete mich hin, dass meine Augen auf einer Höhe mit dem Feuer waren, und versuchte, mich an den Farben und Funken zu erfreuen und zu beruhigen. Aber noch wichtiger war, der armen Seele die Angst zu nehmen, zumindest für ihren letzten Augenblick auf Erden. Niemand war mehr da, um mich auszulachen. Ich konnte alles tun, was ich für richtig hielt.
»Alles wird gut«, sagte ich zu dem Bündel in meinem Arm. »Es ist gleich vorüber. Ich bin bei dir. Es wird ganz schnell gehen, du merkst es nicht einmal, und dann …« Ich zögerte. Ich wollte sagen: » Dann bist du bei Gott « , aber ich brachte die Worte nicht über meine Lippen. Die Seele hatte es verdient, dass ich ein letztes Gebet für sie sprach, doch wenn ich nur an das Wort dachte, schoss mir ein Schmerz durch den Schädel, ein Stechen, wie ein
Weitere Kostenlose Bücher