Das Puppenzimmer - Roman
gehabt, ich hatte vorher alles Menschenmögliche versucht, die Seele zu retten; sie hatte alle Mittel gehabt, ins Licht zu gehen, war sie nicht schon so gut wie tot gewesen, als sie sich verpuppt hatte, wäre sie nicht so oder so in die Hölle gekommen, wenn sie so voll Hass war? Nicht ich hatte sie verdammt, sie war schon immer verdammt gewesen … Die Ausflüchte halfen nicht viel. An meiner Schuld änderte es nichts.
Aber ich stand immer noch unter Rufus’ Befehl, und der ließ mich irgendwann aufstehen, als wäre nichts geschehen, und mein Werk zu einem Ende bringen. Mit der Zange fischte ich den aufgeweichten Kokon aus dem Bassin; in meinen Händen fühlte er sich ganz weich und schlaff an und trügerisch gut. Die Seide konnte nichts dafür. Und es war besser, sie jetzt mit Andacht und Sorgfalt zu behandeln und das Beste daraus zu machen, damit die Seele nicht umsonst gestorben war. Ich nahm die Spule, suchte mir ein loses Fadenende und fing an, die Seide aufzuwickeln. Fast musste ich lächeln, obwohl mir schrecklich zumute war: Es war wie in der Handarbeitsstunde. Vielleicht hätte ich wirklich lieber Französisch gelernt oder Geschichte, aber es war wichtiger, dass ein Waisenmädchen einen Haushalt führen, nähen und flicken konnte. Auch sticken hatten wir gelernt in der Hoffnung, eines Tages unsere Kunstfertigkeit mit einem Mustertuch zeigen zu können und damit vielleicht eine Mutter dazu bringen, ihren Sohn an uns zu verheiraten. Für manche der Mädchen war das der einzige Grund, überhaupt das Alphabet zu lernen …
Ich saß still am Boden, den Kokon in meinem Schoß, und spulte Seide auf. Obwohl er im Wasser gelegen hatte, fühlte der Kokon sich trocken an. Doch die Seide löste sich ganz leicht. Ich wusste nicht, was für ein Wasser es war, mit dem Rufus die Schale gefüllt hatte, aber vielleicht reichte es schon, dass Feenfeuer darunter brannte. Die Arbeit war so stumpfsinnig wie alle Fleißarbeit, sicher nicht einer Fee würdig, aber wenn ich eines gelernt hatte in der Schule, dann, meinen Kopf abzuschalten. Ich spulte und spulte, der Kokon drehte sich und tanzte hin und her. Der Faden wollte kein Ende nehmen, aber er riss auch nicht, sondern glitt mir durch die Finger und versuchte dabei, mir seine Geschichte zu erzählen, von ungeträumten Träumen und Welten, in die ich noch nie einen Fuß gesetzt hatte.
Die Seidenschicht auf der Spule wurde dicker und dicker, der Kokon kleiner, und langsam begann sich eine Form abzuzeichnen, als ob doch noch etwas darin eingewickelt war. Mein Herz blieb einen Moment lang stehen, als ich begriff, dass es die Gestalt eines menschlichen Körpers hatte, aber ich wagte nicht, den Kokon in die Hand zu nehmen und mit den Fingern darin herumzupulen. Ich wickelte und wickelte meinen Faden auf – er musste lang genug sein, um die ganze Welt dreimal zu umspannen – und wusste, dass die Seide früher oder später von selbst ihr Geheimnis preisgeben würde.
Und das tat sie. Aus ihrem Inneren kam eine Puppe zum Vorschein. Ich konnte nicht mehr sagen, ob es dieselbe war, die ich in der Nacht in meinem Arm gewiegt hatte. Ihr Körper war schwarz gebrannt, das Haar verkohlt. Der Kopf – ohne Haare und Schädeldecke – sah seltsam unfertig aus; er war in der Hitze gesprungen, so dass er mir nun, als ich die Puppe aufnahm, in zwei Hälften entgegenfiel. Die Augen hingen noch in ihren Höhlen, das eine mehr, das andere weniger, miteinander verbunden durch eine Konstruktion aus Draht und Blei, damit sich die Lider schlossen, wenn man die Puppe auf den Rücken legte. Die Wimpern waren verbrannt wie das restliche Haar. Ich strich sanft über das Gesicht, und dann, endlich, schloss ich ihr die Augen für immer. Sie sollte nicht in diesem Zimmer bleiben. Ich würde sie draußen begraben, nicht auf dem Müll, aber unter einem Rosenstock, wo die Welt schön war, ein letztes Mal.
Und die Seide … Rufus sollte seine Seide bekommen. Ich schleuderte ihm die Spule, dick und weich und unschuldig weiß wie Schnee, auf den Tisch, ohne auch nur ein Wort zu sprechen. Ich musste an mich halten, um nicht wie von Sinnen zu schreien und ihn einen Mörder zu nennen, aber für andere Worte war in mir kein Platz. So stand ich nur da, fühlte mich beben vor Zorn und starrte ihn an.
»Gut«, sagte Rufus nur. »Ich wusste, dass du es kannst. Habe ich es dir nicht gesagt –«
Ich weiß nicht, was er mir alles erzählen wollte. Ich stürmte nur noch aus der Bibliothek, und dann aus dem Haus in den
Weitere Kostenlose Bücher