Das Puppenzimmer - Roman
Dolch durch jedes Auge. Ich biss die Zähne zusammen. Jetzt ging es nicht um mich. Das musste ich aushalten. Wenn ich nur … »Heiliger Vater im Himmel«, fing ich an, jedes Wort ein Kampf, dass ich es kaum ertragen konnte. »Ich bitte … dich, sei dieser … Seele gnädig.« Mir liefen die Tränen aus den Augen und Schweiß über den ganzen Körper, aber das war nicht das Schlimmste. Nichts war so schlimm wie das Feuer. Es schien auf mein Gebet zu reagieren, seine Flammen färbten sich dunkelrot wie Blut, und es loderte zornig hoch und zu den Seiten, dass ich zurückweichen musste, sonst hätte es mich gepackt. Meine Finger krampften sich um das Ding in meinen Händen, ich zitterte wie im Fieber, und es kostete mich meine ganze Kraft, auch nur das letzte Wort zu sprechen: »Amen.« Dann lag ich da, keuchend, Schmerzen pochten durch meinen ganzen Körper, jeder Herzschlag war ein Peitschenhieb, aber ich war froh, dass ich es geschafft hatte: das kürzeste Gebet meines Lebens und das erste, bei dem es sich wirklich anfühlte, als ob es Gehör gefunden hatte. Nur nicht unbedingt bei dem, den ich hatte anrufen wollen …
Vorsichtig rappelte ich mich wieder auf. Ich hätte der Puppe gerne die Augen geschlossen, damit sie das Ende nicht sehen musste, aber das ging nicht. Was mich aus dem Kokon anstarrte, besaß weder Wimpern noch Lider. Nur meine eigenen, die konnte ich schließen, und das würde ich auch tun. Ich hielt die Zange vor mich, bewegte sie zaghaft hin und her, bis ich ein Gefühl für sie hatte, griff vorsichtig nach dem Kokon, damit ich ihn sicher hielt und er nicht hinunterfallen würde, und dann kniff ich meine Augen zu und streckte den Kokon in die Flammen.
Schmerzen schossen meinen Arm hinauf, so dass ich die Zange fast fallen gelassen hätte, sie war glühend heiß. Ich schrie laut, oder ich glaubte es zumindest, bis ich begriff, dass es nicht mein eigener Schrei war. Ich hatte die Puppen lachen gehört und weinen, doch das war vergessen, es gab nur noch diesen Schrei, von einem Wesen in Todesqualen. Er dauerte unendlich lange, wenn es nicht die Zeit selbst war, die stillstand in diesem Moment. Der Teil von mir, der Mensch war und bleiben wollte, hätte am liebsten die Zange zurückgezogen, den Kokon aus dem Feuer geholt, bevor es zu spät war, und gerettet, was man irgendwie noch retten konnte. Die Seele hatte sich Erlösung gewünscht, nicht das. Was hatte Alan gesagt: Die Zeiten änderten sich, und die Feen auch? Wenn ich noch gekonnt hätte, ich hätte grimmig gelacht über diese Worte. Es war das Höllenfeuer selbst, in das ich gerade mit eigenen Händen eine Seele stieß.
Aber der Teil von mir, der Fee war, blieb ruhig. Hielt die Zange in das Feuer, ohne zu zittern oder zu zucken, bis der Schrei verstummt war. Ich konnte nichts dagegen tun. Es lag nur an Rufus’ Befehl, versuchte ich mir einzureden. Das war nicht ich. Doch die Wahrheit, selbst wenn ich sie nicht hören mochte, war: Es war ein Stück von mir, ein Ich, das ich nicht mochte, und trotzdem ein Ich. Jetzt verstand ich, was Rufus gemeint hatte mit Feenfingern, die sich von allein erinnern würden – hatte ich das alles schon einmal getan? Langsam nahm ich Zange und Kokon aus dem Feuer und öffnete die Augen. Alles war unversehrt, der schneeweiße Kokon noch nicht einmal angesengt. Aber es war kein Leben mehr darin. Die Seele, die ich immer unter der Oberfläche gesehen hatte, das Pulsieren von Leben, die Augen, die mich immer zu beobachten schienen – fort, ohne mir zu verraten, wo sie nun war. Und dass auch das entsetzliche Gefühl von Hass und Verlassenheit nun ein Ende gefunden hatte, tröstete mich nicht. Sie war tot. Ich hatte sie getötet. Ich stand auf, und ohne in das Wasser zu blicken, legte ich den Kokon in die Schale, damit sich die Seide lösen konnte. Dann brach ich zusammen.
Ich wusste nicht, wie lange ich da saß und weinte, aber es fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Ich war eine Mörderin, und was noch schlimmer war, eine Verräterin. Ich hatte der Seele versprochen, sie freizulassen, sie an einen besseren Ort zu bringen, wo ihre Schmerzen vergessen waren und es keinen Hass mehr gab. Stattdessen hatte ich sie vernichtet, einfach so, kalten Herzens, wie es die Art der Feen war. Getötet nicht für Macht, nicht für Geld, nur für eine Spule voll Seide, wie man einem toten Tier das Fell über die Ohren zog, um daraus einen Pelz zu machen – nur dass es kein Tier war, sondern ein Mensch.
Ich hatte keine Wahl
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