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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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ich war zu erschöpft, um mich noch darüber aufregen zu können. Doch was ich nicht abschütteln konnte, war das Gefühl, dass etwas nicht stimmte, dass etwas falsch war, und ob das an mir lag oder an dem Zimmer, konnte ich nicht sagen – dort war eine Stille, wo keine hätte sein dürfen, doch wenn ich den Finger darauflegen wollte, verschwand das Gefühl wieder.
    So viel Arbeit kam noch auf mich zu … In wenigen Tagen schon würden Rufus und Violet verschwinden; ihre Abreise hatten sie minutiöser vorbereitet als meine Ankunft, und bis dahin hatte ich so viele Entscheidungen zu treffen. Vor allem musste ich auswählen, wen vom Personal ich behalten würde und wer auf die Straße zu setzen war mit einem Wochenlohn in der Tasche und vielleicht einem Glas Lethewein im Blut für alle, die zu viel wussten.
    »Es ist keine Frage der Bezahlung«, sagte Rufus. »Was das angeht, kannst du jeden Einzelnen von der Dienerschaft behalten. Wir haben kein Problem damit, wenn du deinen Stand wahren willst, auch wenn es vielleicht übertrieben ist, wenn ein alleinstehendes junges Mädchen ein Dutzend Diener beschäftigt. Nur den Kutscher werde ich mitnehmen, er untersteht seit jeher mir persönlich. Alle weiteren, Trent eingeschlossen, kannst du haben.«
    Er machte eine Pause, als wollte er meine Reaktion abwarten und sehen, ob ich die Fallstricke von selbst erkannte. Dann redete er weiter: »Die Frage ist, wie viele Menschen kannst du binden? Die Königin wird einen neuen Hofstaat bekommen und das Personal von Hollyhock aus ihrem Bann entlassen, und dass du nicht halb so stark bist wie sie, dass du noch nicht einmal ein Bruchstück ihrer Macht hast, steht außer Frage. Wie unsicher es ist, nicht jeden Menschen im Haus an dich zu binden, haben wir gesehen, als du deine kleinen Abenteuer mit Hausburschen und Scheuermagd erleben musstest – das ist ein Risiko, das du nicht eingehen solltest. Such dir diejenigen aus, die du halten möchtest, und versichere dich ihrer grenzenlosen Loyalität. Die anderen werden sich nicht an viel erinnern können, wenn sie einmal die Grenzen unseres Bodens verlassen haben. Ich rate dir zu Trent, er hat sich oft bewährt und schafft es, erstaunlich klar zu bleiben, während er bezaubert ist, eine seltene Eigenschaft unter Menschen. Was den Rest angeht – du kennst deine Kraft besser als ich, aber überschätze sie nicht.«
    Und da stand ich nun mit einer Liste von Angestellten und musste mir überlegen, wen ich wirklich brauchte und wen nicht. Drei Zimmermädchen und zwei Lakaien? Das war übertrieben. Brauchte ich überhaupt ein Mädchen, wenn ich eine Zofe hatte? Und musste die Köchin unbedingt eine Küchen- und eine Scheuermagd haben, wenn es nur eine einzige Person zu bekochen galt? Lauter Gedanken, bei denen ich ein Vermögen gegeben hätte, sie mir nicht machen zu müssen. Zumindest musste ich mir nicht jetzt gleich das Hirn zermartern. Ich konnte es aufschieben, bis Rufus und Violet tatsächlich aufbrachen, und mich dann entscheiden. Jetzt wollte ich meine Ruhe haben von alldem, einfach nur meine Ruhe …
    Ich hielt es im Bett nicht mehr aus. Etwas in diesem Zimmer war falsch, das trieb mich um. Ich stand auf, um es zu finden und zu beseitigen. Es lauerte in meinem Augenwinkel – wenn ich nur gewusst hätte, was es war …
    Dann fiel mein Blick auf den Vogelkäfig. Er stand am Fenster, und trotz des Mondlichts, das von draußen hereinschien, war er nicht mit einem Tuch abgedeckt. Vielleicht war es das, was mich störte. Oder die Tatsache, dass ich den ganzen Tag über keinen Vogel darin gesehen hatte … Meine Schritte wurden langsam, als ich mich dem Käfig näherte. Eine schreckliche Vorahnung überkam mich. Niemand hatte nach Blanches Tod von ihr gesprochen, niemand ihr Zimmer betreten. Und ihr Vogel, der kleine Zaunkönig, den sie so sehr geliebt hatte, dass sie ihn sogar dem Mädchen schenken wollte, um es wieder glücklich zu machen – dieser arme kleine Vogel lag tot am Boden des Käfigs. Ein armseliges Ding, kaum mehr als ein paar Knochen und Federn, einsam und vergessen …
    Ich nahm die Tagesdecke meines Bettes, die sauber gefaltet über einer Stuhllehne lag, und breitete sie vorsichtig um den Käfig. Dann warf ich mich wieder in das duftende Leinen. Und brach in Tränen aus.

Zwanzigstes Kapitel
    Vor der Tür blühten immer noch die Malven, die dem Haus seinen Namen gaben. Als ich aus dem Fenster schaute in diese Pracht von Rosa, Flieder und Weiß, wusste ich, dass es bald ein

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