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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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hättest du nachfragen müssen. Und nein, wir warten nicht mit dem Essen. Wer unpünktlich ist, der ist selber schuld.«
    Mein Magen knurrte. Zwei Tage lang hatte es nur ein süßes Frühstück für mich gegeben, das hielt nicht lange vor. Ich hoffte, noch irgendwo einen Happen auftreiben zu können, um nicht ganz hungrig zu Bett gehen zu müssen. »Damit ich es morgen besser mache«, fragte ich vorsichtig, »wann gibt es denn das Essen?«
    »Gegessen wird um eins«, antwortete Mrs. Arden.
    »Nein, ich meine das Abendessen«, erklärte ich schnell.
    »Das meine ich auch.«
    »Um ein Uhr mittags?« Ich konnte es nicht glauben, auch wenn ein Uhr nachts für mich genauso unglaublich klang.
    Die Haushälterin nickte. »Regeln sind Regeln«, sagte sie. »Halte dich an sie, wenn du es in deinem Leben jemals zu etwas bringen möchtest.«
    Ich nickte. Diese Frau hatte etwas sehr Einschüchterndes an sich, aber gleichzeitig etwas Vertraueneinflößendes, das dem Butler völlig abging. Mrs. Arden war die Herrin aller weiblichen Bediensteten, und ich konnte mir gut vorstellen, dass die Mädchen zu ihr aufsahen wie zu einer Mutter. »Ich werde darauf achten«, sagte ich schnell. »Bitte, wissen Sie, wo ich eine Schürze finden kann? Ich habe von den Herrschaften dieses schöne Kleid bekommen, aber keine Schürze dazu.«
    »Willst du die Herrschaften kritisieren?«, fragte Mrs. Arden. »Sie sorgen nicht gut für dich, ist es das, was du sagen möchtest? Du bist ein Waisenmädchen, wie ich gehört habe. Denkst du nicht, dass du etwas dankbarer sein solltest?«
    »Oh, aber ich bin dankbar«, sagte ich, »sehr sogar. Ich habe Angst, das Kleid zu beschmutzen, wenn ich keine Schürze dazu trage.«
    »Dann musst du lernen, auf deine Sachen achtzugeben«, antwortete Mrs. Arden kalt. »Wenn Milady gewünscht hätte, dass du eine Schürze trügst, hätte sie dir eine gegeben. Milady ist sehr gut zu euch Mädchen. Es mangelt euch an nichts. Denk daran.« Nein, an dieser Frau war kein Vorbeikommen. Violet konnte stolz sein, so eine treue Seele zur Haushälterin zu haben. Ob die Frau wusste, wie schlecht die Köchin über ihre Herrschaften redete? Aber ich war keine Petze. So gab ich mich kleinlaut und demütig. Bis ich in diesem Haus meinen Platz gefunden hatte, sollte es wohl noch etwas dauern.
    Ich presste die Lippen aufeinander und nickte. »Ich bitte um Entschuldigung. Ich wollte nicht ungehörig erscheinen.« Hunger und Enttäuschung drängten aus mir hinaus, aber ich würde dieser Frau, und erst recht nicht der Köchin, die Genugtuung geben, mitten in der Küche in Tränen auszubrechen, selbst wenn mir noch so sehr danach war – vor Wut, natürlich. Mit Mühe schaffte ich es noch, einen Abschiedsgruß zu murmeln und aus der Küche zu verschwinden, so schnell ich konnte. Ich kam bis zur Treppe, dann konnte ich es nicht mehr zurückhalten. Normalerweise weinte ich nicht. Ich war stolz und störrisch und vor allem keine Heulsuse. Aber an diesem Tag hatte man mich eingesperrt, man hatte mich verhöhnt, auf mich hinabgesehen, und noch dazu hatte ich nichts gegessen … Daran musste es liegen, am Hunger, nur daran. Mir liefen die Tränen übers Gesicht, und nur meiner letzten Selbstbeherrschung verdankte ich es, dass ich nicht auch noch laut schluchzte dabei. Wenn überhaupt, weinte ich leise – so lernte man es in St. Margaret’s. Wer laut losplärrte, den fraßen die anderen Mädchen bei lebendigem Leibe auf. Aber derart verheult wollte ich nicht zurück in die Räume der Herrschaften. Nicht auszudenken, wenn ich Rufus oder Violet über den Weg lief mit vor Tränen verschmiertem Gesicht – in diesem Moment konnte ich mir kaum etwas Schlimmeres vorstellen. So kauerte ich mich unter die Treppe und hoffte, dass mich niemand dort finden würde, bis ich mich beruhigt hatte und wieder Herrin meiner selbst war. Doch ich hatte nicht mit dem gerechnet, dem dieses Stück Hollyhock gehörte.
    Und so war es ausgerechnet Alan, der mich dort aufstöberte. Immer stießen wir aufeinander, wenn einer von uns nicht in der Verfassung dafür war! War das hier die Rache dafür, dass ich ihn in der Nacht erschreckt hatte? Ich glaube es nicht. An diesem Tag war Alan der Erste, der nett zu mir war, und das würde ich ihm nicht vergessen.
    Er legte mir eine Hand auf die Schulter, und wieder durchlief mich ein Schauder von dieser warmen, kräftigen Berührung, wie ich sie von anderen Mädchen nicht kannte. Jetzt wagte ich erst recht nicht, aufzublicken, ich

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