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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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niemand von meiner Flucht wusste. Nur entpuppte sich das Hineinkommen doch als schwieriger als das Hinausspringen. Deutlich schwieriger. Ich konnte die Fensterbank zwar gerade so mit den Fingerspitzen erreichen, aber damit war ich noch nicht wieder drin. Und wo ich balancierte wie eine Meisterin, waren Klimmzüge und Klettern doch ganz andere Dinge. Zwei Möglichkeiten gab es für mich: Ich konnte die Treppe zur Haustür hinaufsteigen und dann versuchen, auf die andere Seite zu springen, oder aber hochhüpfen, mich am Sims festhalten und mich dann nach oben ziehen, die Füße an der Wand. Das erschien mir erfolgversprechender, und im dritten Anlauf bekam ich den Fensterrahmen zu greifen. Endlich konnte ich mich freuen, dass Miss Mountford ihre Waisen nicht schonte, sondern hart arbeiten ließ – zumindest bildete ich mir ein, dass ich dem Putzdienst meine kräftigen Arme verdankte. Vielleicht hätte ich mich auch dafür bedanken sollen, dass Mrs. Hubert mit ihrer kargen Kost dafür gesorgt hatte, dass wir alle rappeldürr blieben, denn so hatte ich zumindest kaum Gewicht hochzuhieven. Egal wie oder durch wessen Verdienst, ich schaffte es tatsächlich, mich auf und über die Fensterbank zurück ins Zimmer zu wälzen. Da war ich. Mein Gartenausflug war vorbei.
    Vorsichtig sah ich mich um. Ein Schatten erschreckte mich, und einen Moment lang dachte ich, Rufus im Ohrensessel sitzen zu sehen, aber zum Glück war ich allein im Zimmer und der Schatten nur eine optische Täuschung. Schnell schloss ich das Fenster wieder: Niemand würde jemals etwas von meiner kleinen Exkursion erfahren. Und jetzt war ich endlich in der Stimmung, mir in der Bibliothek etwas zum Lesen zu suchen; mein Drang nach Freiheit und Bewegung war erst einmal erfüllt, mein Kopf voll von unzähligen Dingen, die nichts mit Puppen zu tun hatten, und wenn ich jetzt auch noch ein spannendes Buch fand, würde die Zeit bis zum Abendessen schnell vergehen.
    Bücher über Bücher. Dicke Wälzer, in brüchiges braunes Leder gebunden – ich wollte gar nicht wissen, wie alt sie waren, und wagte es auch nicht, eines von ihnen anzufassen. Ich hatte kein Bedürfnis danach, gleich an meinem zweiten Tag erklären zu müssen, warum ich ein unersetzliches Buch zerstört hatte. Ein kritischer Blick auf meine Hände – ich rechnete damit, sie noch ziemlich sauber vorzufinden, hatte ich sie doch im Garten immer brav hinter dem Rücken gehalten und mich den Blumen nur mit den Augen genähert, nicht mit den Fingern. Aber das war, bevor ich mich am Fenstersims hochgezogen hatte. Sie waren schmutzig und verschrammt und außerdem voll von hellgrauem Steinmehl, das sich vielleicht abputzen ließ, wenn ich irgendwo ein passendes Tuch finden konnte – ich schwankte zwischen den Vorhängen und meinem Unterrock.
    Doch als ich an mir hinunterblickte, bemerkte ich etwas anderes, und das wog viel schwerer als staubige Finger. Auch mein weißes Kleid trug deutliche Spuren des Abenteuers. Im Garten hatte ich noch brav daran gedacht, es zu schonen, war nicht in die Brombeeren gegangen und hatte mich auch nicht ins Gras gesetzt – nur um mich dann an einer Hauswand hochzuziehen, die schon bessere Zeiten gesehen hatte. Und genau das konnte man jetzt auch von meinem Kleid behaupten. Ich steckte in Schwierigkeiten. Das war kein Dreck, den man sich in einer Bibliothek einhandeln konnte, selbst wenn man sich nur die allerstaubigsten Bände heraussuchte. Ich musste in mein Zimmer kommen, das Kleid im Schrank oder sonst wo verschwinden lassen und mir eines der beiden anderen anziehen, und das alles, bevor ich Rufus das nächste Mal unter die Augen trat. Sonst … Ich wusste nicht, was sonst war, aber ich wollte es nicht darauf ankommen lassen.
    Leiser als nötig schlich ich zur Tür, um herauszufinden, ob ich wirklich eingeschlossen war. Vielleicht hätte ich das besser längst überprüft, statt mich nur auf das Geräusch des Schlüssels zu verlassen, nachdem Mr. Trent so garstig zu mir gewesen war. Langsam drückte ich die Klinke hinunter – sie sollte bloß nicht quietschen und Mr. Trent auf den Plan rufen. Ich wollte ihm nicht die Genugtuung geben, laut an einer Tür zu rütteln, die er versperrt hatte. Aber auch wenn die Klinke keinen Ton von sich gab, die Tür blieb gegen mich. Verschlossen war verschlossen. Ich spähte durch das Schlüsselloch oder versuchte es zumindest: Alles, was ich sehen konnte, war der Schlüssel selbst. Wenn ich nur an den hätte herankommen können … Denken

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