Das Puppenzimmer - Roman
früh. Er hatte nicht davon gesprochen, ob er das Mädchen, das er suchte, als Tochter annehmen oder als Zofe für seine Schwester einstellen wollte. Es war alles sehr rätselhaft, und ich hatte zu viele Schauerromane gelesen, um nicht, misstrauisch, wie ich war, vom Schlimmsten auszugehen, und schlimm war ein weites Feld. Es gab sehr wenig, was ich Mr. Molyneux in diesem Moment nicht zugetraut hätte, aber ich versuchte, das nicht an mich herankommen zu lassen. Was auch immer mich erwartete, ich durfte keine Angst haben. Selbst wenn meine Zukunft düster aussah, düster war auch das, was ich hinter mir hatte: Ich war aus St. Margaret’s entkommen, und die volle Reichweite dessen ging mir nur langsam auf. Was immer ich bei Mr. Molyneux sein würde, ich war keine Niedere Tochter mehr.
»Steig ein«, sagte der Kutscher zu mir. »Soll ich dir helfen?«
Würdevoll schüttelte ich den Kopf. Eine Seiltänzerin schaffte es allemal, allein in ein Coupé einzusteigen. So turnte ich elegant in die Kutsche, froh, niemandem zu viel Arbeit zu machen, und überlegte im Geiste, was ich zu Mr. Molyneux sagen sollte, wenn wir uns gleich auf diesem engen Raum gegenübersaßen. Aber stattdessen fand ich mich Auge in Auge mit einer fremden Lady wieder.
Sie war wunderschön und sehr blass, was natürlich daran liegen konnte, dass es in der Kutsche ziemlich schummrig war; Licht fiel vor allem durch die noch offene Tür hinein, aber als der Kutscher diese hinter mir schloss, wurde es dunkel um mich. Offenbar waren die kleinen Fenster geschwärzt worden – wie passend für ein finsteres Gefährt mit einem Gespann schwarzer Pferde. Aber wenn die Lady kränkelte, vertrug sie vielleicht kein Tageslicht. Und wenn sie immer in verdunkelten Kutschen saß, musste man sich nicht wundern, dass sie blass war.
Sie trug einen ausladenden Hut nach der neuesten Mode, die immer einen Ausgleich dafür finden musste, dass die Kleider so schlicht und reizlos aussahen und die Frauen so schmal machten. Farblich lag er irgendwo zwischen Rosa und Flieder, ebenso wie ihr Kleid, aber anders als der Hut war dieses ganz und gar altmodisch ausladend und nahm mit seinem Reifrock die halbe Kutsche ein. Neben ihr auf der Bank, im Schatten kaum zu sehen, hatte der Gentleman Platz genommen, und als das Coupé mit einem Ruck anfuhr, setzte ich mich eilig ihnen gegenüber und fuhr, mit dem Rücken voran, ins Ungewisse.
»Das ist sie also?«, fragte die Lady.
»Das ist sie«, wiederholte der Gentleman. Und ich bildete mir ein, dass sie beide ein bisschen zu skeptisch dabei klangen, vielleicht sogar missbilligend, aber was immer sie stören mochte, es war nichts, was zu ändern in meiner Macht lag. Trotzdem, es verletzte mich. Sie hatten aus einer Auswahl von so vielen Mädchen ausgerechnet mich genommen – dann mussten sie jetzt auch damit leben, dass ich ich war und nicht wie die anderen.
Ich zog mich etwas tiefer in die Schatten zurück. In meinen Träumen stand ich zwar im Licht, und alles jubelte mir zu, aber ich war auch selbst tüchtig im Beobachten, eine Kunst, die jedes gut ausgebildete Waisenmädchen beherrschen sollte: Nicht aufzufallen, wenn ich nicht auffallen wollte, hatte mich schon an manchem Tag gerettet, sei es vor Miss Mountford, der Köchin oder auch nur einem älteren Mädchen. Mr. Molyneux konnte sich ruhig mit seiner Schwester unterhalten; mir sollte das nur recht sein.
»Die Einzige?«, fragte die Lady.
»Ich hatte noch zwei andere im Verdacht«, erwiderte er. »Aber sie erschienen mir … ungeeignet.«
»Immerhin«, sagte sie. »Das ist mehr als in den anderen Häusern, die wir besucht haben.«
Danach waren sie erst einmal still, die Kutsche rumpelte, und ich konnte nachdenken. Es gab nur zwei Waisenhäuser in Whitton, und das andere war für Jungen – das hieß, sie mussten sich auch in London selbst umgesehen haben. Wollten die beiden jetzt nicht nur mich, sondern waren am Ende auf der Suche nach einem ganzen Stall kleiner bis mittelgroßer Mädchen? Aber wofür? Egal, es sollte mir recht sein. Sie hatten mich immerhin ausgesucht – wenn das sogar aus einer größeren Auswahl geschehen war, ehrte mich das umso mehr.
»Es ist Zeit, heimzufahren«, sagte Mr. Molyneux zu seiner Schwester. Und dann, man sollte es kaum für möglich halten, beugte er sich zu mir vor, als wäre ihm plötzlich wieder eingefallen, dass ich existierte. »Hast du eine Vorstellung, warum wir dich ausgewählt haben, und wofür?«, fragte er.
Ich schüttelte
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