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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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gefürchteten Straßenräuber Dick Turpin, in einem Tag und einer Nacht von York bis nach London und zurückgetragen hatte. Der Kutscher musste der Teufel selbst sein, und zumindest in meinem Traum war er es auch: ein Höllenkerl mit Hörnern, der auf seine Pferde eindrosch und sie antrieb, dass ihre Hufe den Boden nicht mehr berührten. Und Mr. Molyneux … Und seine Schwester war … Im Traum wusste ich es. Doch kaum war dieser vorbei, erinnerte ich mich nicht mehr. So ist das mit Träumen.
    Ich wurde wach, und das Bild des Hauses, das ich eben noch so klar vor Augen hatte, verschwand. Nun, das sollte meine geringste Sorge sein. Ich würde das echte Haus sehen, sobald wir da waren. Hollyhock. Nicht ganz ein Zirkus. Aber meine neue Heimat.
    Eine Hand an meiner Schulter rüttelte mich leicht. Seltsam, dass ich davon wach wurde – die Kutsche hatte mich die ganze Fahrt über weitaus mehr geschüttelt, aber wer einmal die Betten von St. Margaret’s überstanden hatte, der konnte überall schlafen.
    Trotzdem, ich zögerte, die Augen zu öffnen. Ein letztes Mal versuchte ich, das Traumbild festzuhalten – noch etwas, das man in St. Margaret’s lernte: Egal wie mies der Traum sein mochte, die Wirklichkeit war immer noch viel mieser. Schließlich blinzelte ich, rekelte mich ein bisschen und schlug die Augen vollends auf. Es war immer noch dämmrig in der Kutsche, aber das Licht war jetzt nicht mehr braungrau, sondern hatte die Farbe von Flieder. Es quoll zur halboffenen Tür herein und machte mich neugierig auf das, was jenseits der Kutsche liegen mochte. Aber zwischen mir und der Außenwelt stand die Lady, Mr. Molyneux’ Schwester, die sich über mich beugte.
    »Genug geschlafen«, sagte sie. »Es ist an der Zeit, aufzustehen. Du sollst nicht in der Kutsche wohnen.« Das waren also die ersten Worte, die sie an mich richtete. Man hätte sie mit einem Lächeln sagen können, sogar mit einem Lachen, aber Milady sprach kühl und distanziert und artikulierte dabei jeden Buchstaben säuberlich, als ob sie eine fremde Sprache spräche.
    »Ja, Madam«, sagte ich, jeder Zoll wohlerzogenes Waisenmädchen. » Rede nur, wenn du gefragt wirst « , war uns mit dem Stecken eingebleut worden, und: » Kinder soll man sehen, nicht hören.« Ich beherrschte all diese Spielchen und Regeln, wenn es darauf ankam. »Vielen Dank, dass Sie und Ihr Bruder mich in Ihr Haus nehmen.«
    »Du wirst noch später Zeit haben, uns zu danken«, sagte sie. »Komm jetzt.« Ihr Bruder war nirgendwo mehr zu sehen. Nun, es war sicherlich auch schicklicher, wenn eine Lady mich aufweckte denn ein Gentleman. Wir wollten doch nicht vom ersten Tag an den Dienern einen Grund zum Tuscheln geben!
    Als ich meinen Kopf aus der Kutsche schob, wurde mir fast schwindelig von der frischen Luft. Anstatt dass ich mich freute, aus dem muffigen Kasten zu steigen, der den Geruch von Staub trug, von Miladys zartem Parfüm und langen Jahren in der Remise, erschlug es mich förmlich. Ich roch das Haus, bevor ich es sah, oder zumindest roch ich seinen Garten. Ein Meer von Blumen, die ich nie zuvor gesehen hatte. Zumindest nicht in natura und in Farbe. Von den schwarz-weißen Kupferstichen im Almanach kannte ich zwar die Namen vieler Pflanzen, und das eine oder andere Blümchen hatte ich natürlich auch auf den sonntäglichen Spaziergängen durch den Park gesehen, aber in dieser Pracht und Vielfalt waren sie neu für mich.
    Ich war den Geruch von Rauch und Nebel gewohnt, in der Stadt durchzog er selbst den Park, und was dort blühte, hatte keine Chance, zu gedeihen: Bald war es grau vom Ruß und ging ein. Hollyhock hingegen musste von Tausenden Blumen und Büschen umgeben sein, und ich konnte nur vermuten, dass Flieder darunter war und vielleicht auch die eine oder andere Malve, der das Haus den Namen verdankte, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob Malven um diese Jahreszeit schon blühten. In London taten sie es nicht, aber hier gab es mehr Sonne und bestimmt einen großartigen Gärtner … Die Welt verschwamm vor meinen Augen, und alles, was ich sah, war ein Strudel von Farbe, Rosa in allen Schattierungen der Dämmerung, und es war schön.
    Ich zwinkerte. Mein Blick klärte sich, und jetzt sah ich endlich auch das Haus. Es übertraf alles, womit ich gerechnet hatte. Das Haupthaus war ein mächtiger Würfel mit hohen Säulen und einem klassizistischen Giebel, den ich dank meiner umfassenden Bildung durch den Almanach von 1903 und heimlicher Besuche in der Leihbücherei als

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