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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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bereitete ihm sichtliche Schwierigkeiten, sich auf ein Mädchenkomplott einzulassen. Ich wusste zwar nicht, wie alt er war – er konnte durchaus über 40 sein, was das betraf –, aber es reichte schon aus, dass er kein Mädchen war. Aber das konnte er getrost mir überlassen, ich wusste, was ich tat. Freundlich streckte ich Blanche die Hand hin. »Willst du mit mir kommen, oder möchtest du erst noch in Ruhe zu Ende essen?« Und was war mit mir und meinem Frühstück? Egal. Auf die drei Bissen sollte es auch nicht ankommen. Nicht mehr lange, und ich hatte Wangenknochen wie Rufus, und ich wusste nicht, ob die mir stehen würden.
    Blanche musste den Spatzenappetit ihrer Familie geerbt haben, denn sie zögerte nicht, stand auf und ergriff meine Hand. Was dann kam, war seltsam – nicht so seltsam wie das Gefühl, das die Puppen hervorriefen, aber doch irgendwie verstörend. Ihre Berührung war eiskalt, aber zugleich so vertraut, als hätten wir uns schon jahrelang gekannt. Dabei wusste ich genau, wenn ich schon einmal so einem schönen Mädchen begegnet wäre, hätte ich mich daran erinnert. Allein dieses Haar, diese satten Korkenzieherlocken, hatte ich noch nie an einem lebenden Menschen gesehen. Ich fragte mich, wer ihr das Haar machte – bestimmt auch Dawkins, die Zofe. Ob ich die dazu bringen konnte, sich auch mal meine Haare anzusehen?
    »Was ist?«, fragte Blanche. »Du machst so ein seltsames Gesicht.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ach, nichts …« Besser, sie fühlte sich vertraut an als fremd, vor allem, wenn wir jetzt so viel Zeit miteinander verbringen sollten. »Gehen wir.« Blanche ließ meine Hand nicht los, als ich sie in die Halle führte. »Was möchtest du sehen?«, fragte ich. »Soll ich dir die Bibliothek zeigen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein, Bücher sind langweilig.«
    Ich schluckte. Normalerweise, wenn ein Mädchen so etwas sagte, legte ich ihm vielleicht einen nassen Schwamm ins Bett, aber ich bemühte mich nicht mehr, ihm eine gute Freundin zu sein. »Wir können in den Garten gehen«, schlug ich vor. Aus so einer Sache konnte man auch Nutzen schlagen, und mit Blanche als Begleitung würde mich Mr. Trent bestimmt nicht mehr am Hinausgehen hindern.
    Wieder lehnte sie ab. »Nein, da wird man nur schmutzig.«
    Ich seufzte leise. »Was willst du dann?«
    Blanche strahlte mich an. »Ich will die Puppen sehen.«
    »Aber dein Onkel hat doch gesagt …«
    »Mein Onkel braucht es ja nicht zu erfahren.« Ihre Hand krallte sich um meine wie der Raubvogel um die Beute. »Du bist doch meine Freundin.«
    Das ging mir zu schnell. Ich war daran gewöhnt, meine Freunde selbst auszusuchen, und Blanche schien gleich mehrere Stufen zu überspringen. Ich blinzelte. Ich hatte Rufus Dinge herbeizaubern sehen aus der leeren Luft, und von Violet glaubte ich, dass sie manchmal Gedanken lesen konnte – war das jetzt auch so etwas wie Magie? Ich war mir nicht ganz sicher, aber es fühlte sich so an, als kitzelte etwas meinen Verstand, das da nicht zu kitzeln hatte. Versuchte Blanche, mich zu bezaubern, damit ich sie gernhatte und tat, was sie wollte? Besser, ich ließ es gar nicht so weit kommen. Ich war ein störrisches Ding und nicht leicht zu verzaubern, das sollte sie besser gleich erfahren.
    »Wenn du Ärger mit deinem Onkel willst, ist das deine Sache«, sagte ich. »Du kannst dir das vielleicht erlauben. Aber ich weiß es besser, als mich mit ihm anzulegen.«
    Blanche presste die Lippen zusammen und sah aus, als wolle sie gleich wieder schmollen wie ein kleines Kind. »Aber wenn ich doch deine Freundin bin!«, sagte sie kläglich. »Was ist, hast du Angst? Vor meinem Onkel? Warum nicht vor mir?«
    Ich lächelte sie an. »Weil dein Onkel größer ist als ich«, sagte ich dann. »Und weil ich einen Vorgeschmack hatte von dem, was er kann.«
    »Oh, ich kann auch einiges«, sagte Blanche und versuchte, mich beiläufig in die Richtung des Puppenzimmers zu ziehen. Dafür, dass sie erst in der Nacht angekommen war, schien sie sich schon bemerkenswert gut in Hollyhock auszukennen, und ich fragte mich, wie viel Sinn darin steckte, sich ihr jetzt zu widersetzen – dann besorgte sie sich nur heimlich den Schlüssel und brachte mir alles durcheinander, wenn ich nicht da war, und wer bekam dann den Ärger? Bestimmt ich und nicht sie. Vielleicht, wenn ich sie nur schnell durch das Zimmer führte … Es musste ja niemand wissen … Und ich war doch gut darin, Geheimnisse vor Rufus und Violet zu haben, oder etwa nicht?

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