Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
Vom Netzwerk:
Ich stand schon kurz davor, klein beizugeben, als ich sah, wie Blanche mich anstrahlte. Ich schüttelte den Kopf, um mich von dem Zauber zu befreien.
    »Du brauchst das gar nicht bei mir zu versuchen«, sagte ich. »Ich bin störrischer als jeder walisische Maulesel. Und ich kann auch einiges.«
    »So?« Blanche blickte mich skeptisch an, natürlich wusste sie genau, dass ich nicht dieselben Fähigkeiten meinen konnte wie die, über die sie, Rufus oder Violet verfügten, und ihr Blick wurde mitleidig. »Was denn?« In dem Tonfall hätte sie auch gleich sagen können: » Etwa nähen und stricken? «
    »Ich kann zum Beispiel auf dem Treppengeländer balancieren«, sagte ich vergnügt, und damit war ihre Neugier so weit geweckt, dass ich sie sanft in Richtung Treppe und nach oben ziehen konnte. Natürlich hatte ich nicht vor, jetzt für sie zu balancieren; ich würde so schnell nicht vergessen, was beim letzten Mal passiert war, ob nun in Wirklichkeit oder nur in meiner Einbildung. Letzteres war wahrscheinlicher, denn Rufus hätte sich sonst die Gelegenheit, mich dafür zurechtzuweisen, nicht entgehen lassen. Aber wenn ich Blanche einmal im ersten Stock hatte, konnte mir das egal sein. »Warum gehen wir nicht in dein Zimmer, und ich helfe dir, deine Sachen auszuräumen?«
    Jetzt schaute mich Blanche irritiert an. »Aber das haben die Dienstboten schon erledigt.«
    »Deine persönlichen Sachen meine ich, nicht deine Kleider. Du hast doch bestimmt Dinge mitgebracht, die dir am Herzen liegen? Die dich an deine Eltern erinnern?«
    Darauf hätte sie zornig oder traurig reagieren können, aber alles, was von Blanche kam, war weiteres Unverständnis. »Was soll mit meinen Eltern sein?«
    Ich trat einen vorsichtigen Rückzug an. Eigentlich hatte ich gehofft, auf diese Weise etwas mehr über die Verwandten der Molyneux’ erfahren zu können. »Na, ich dachte, deine Eltern sind gerade gestorben«, sagte ich und wusste, gröber und plumper konnte man eigentlich nicht vorgehen. »Mit mir kannst du über so etwas reden, ich bin auch ein Waisenkind.«
    »Bist du nicht!«, erwiderte Blanche schnippisch. »Mein Onkel hat es mir gesagt. Du hast auf einer Türschwelle gelegen, weil niemand dich haben wollte. Ich weiß alles über dich.« Dann lachte sie. »Aber keine Sorge, du sollst trotzdem meine Freundin sein, meine beste Freundin. Ich werde dich nicht schikanieren, nur weil du keine Familie hast.«
    Innerlich verdrehte ich die Augen. Es war nicht so, dass Blanche mich mit solchen Worten verletzte, ich war daran gewöhnt, und nicht erst seit Rufus; tatsächlich hatte ich genau so ein Verhalten von Blanche erwartet – und mir doch gewünscht, vielleicht vom Gegenteil überrascht zu werden.
    Immerhin, sie ließ sich jetzt doch die Treppe hinaufführen. »In einem Waisenhaus zu sein ist bestimmt nicht schön, oder?«
    Ich nickte. »Wo bist du gewesen?«, fragte ich dann.
    Wieder verstand sie die Frage nicht. »Wie, wo bin ich gewesen?«
    »Bevor du hierhergekommen bist. Warst du auch in einem Waisenhaus?«
    Jetzt schien sie einen Moment lang, wenn auch einen kurzen, nachzudenken. »Nein«, sagte sie dann. »Ich war … bei einem Notar. Er hat auf mich achtgegeben.« Sie strahlte wieder, als hätte sie Grund, stolz auf sich zu sein für eine gut erfundene Geschichte. Eigentlich war es völlig sinnlos, sie auszufragen. Alles, was ich sagte, perlte von ihrem Lächeln ab wie Regen von einem Apfel. »Aber ich will nicht von gestern reden«, sagte sie bestimmt. »Ich bin jetzt hier. Und du bist meine Freundin. Wollen wir nicht nach den Puppen sehen?«
    »Später«, sagte ich ausweichend. »Jetzt sind wir oben.« Dann kam mir in den Sinn, womit man doch bestimmt jedes reiche Mädchen stundenlang beschäftigen konnte. »Du hast so ein schönes Kleid an«, log ich. »Bestimmt besitzt du noch ganz viele solcher Kleider, oder? Möchtest du mir sie nicht zeigen?« Kurz fragte ich mich, warum sie keine Trauer trug – so ein kleines Kind war sie schließlich nicht mehr, dass sie das nicht betraf. Geschickt hätte sich das jedenfalls. Aber ich wusste nicht, wann genau ihre Eltern gestorben waren, und wer nicht in die Kirche ging, der konnte auch Rosa am Grab tragen.
    Blanches Augen begannen zu funkeln. »Willst du meine Kleider anprobieren?«, fragte sie und überschlug sich fast vor Begeisterung. »Genau. Ich will dir meine Kleider anziehen. Du bist so groß wie ich, was mir passt, passt auch dir.« Jetzt gab es kein Halten mehr. Sie zog mich zu

Weitere Kostenlose Bücher