Das Puppenzimmer - Roman
einem Zimmer am Ende des Flurs, und damit sah ich zum ersten Mal, wie die Zimmer in diesem Stockwerk eingerichtet waren. Ich schaute mich um und staunte.
Der Raum war wunderschön und geschaffen für ein Mädchen wie Blanche. Die seidene Tapete war altrosa mit eingewebtem Blumenmuster. Das Himmelbett, die Vorhänge, die große Frisierkommode – alles besaß die verspielte Note eines Zimmers für eine heranwachsende reiche Frau. Wann war es hergerichtet worden? Seit dem Zeitpunkt, an dem Rufus die Ankunft seiner Nichte angekündigt hatte, waren keine Handwerker im Haus gewesen und auch kein Tischler – es war eine Sache, dass Blanche mitten in der Nacht ankam, unbemerkt von mir, aber gleich ihre ganze Zimmerausstattung, Tapeten eingeschlossen? Das war nicht möglich.
Natürlich konnte dies auch schon Miss Lavenders Zimmer gewesen sein, aber gerade das machte es für mich wieder etwas unheimlich. Wenn dies Miss Lavenders Schlafzimmer war, unverändert seit ihrer Zeit als Debütantin – das Reich einer Frau, die mit Puppen spielte und nicht erwachsen werden wollte … Und diese Dienerin, die ihr nicht von der Seite gewichen war bis zum Schluss, war vielleicht mehr ein Kindermädchen gewesen als eine Gesellschafterin für eine alte Dame … Ich schüttelte mich. Diese Vorstellung war mir zu traurig. Es gab sicher bessere Erklärungen für dieses Zimmer. Ich musste mir nicht noch künstlich Angst einjagen.
»Du hast aber ein schönes Zimmer«, sagte ich. Das zumindest war nicht gelogen.
Blanche nickte. »Und das hier ist mein Kleiderschrank.« Sie öffnete eine Tür, die in einen Raum voller Kleider führte. Zwei große Schrankkoffer standen in der Ecke. Die Zimmermädchen waren fleißig gewesen an diesem Morgen. »Willst du auch mein Badezimmer sehen?«, fragte Blanche, und ohne eine Antwort abzuwarten, riss sie eine andere schmale Tür auf. »Hier, ich habe einen eigenen Badeofen!«
Mir gingen die Augen über. Ich wusste zwar, dass es wenn schon keinen Strom, dann doch zumindest fließendes Wasser im Haus gab, aber ich selbst besaß nur einen Krug und eine Schüssel, um mir das Gesicht und den Rest zu waschen, und hier gab es eine richtige kleine löwenfüßige Zinkwanne! Und noch etwas besaß Blanche, das ich mehr begehrte als all ihre Kleider, auch wenn sie das nicht so stolz herzeigen mochte: ein richtiges Wasserklosett. Und ich hatte nur meinen Nachttopf … Kein Wunder, dass die Herrschaften Alan nicht vermissten. Das Ausleeren unserer Nachttöpfe hatte jetzt Lucy übernommen, die an dem schweren Eimer arg zu schleppen hatte, aber so konnte ich sie zumindest manchmal außerhalb der Küche treffen. Doch das war nichts, worüber ich mit Blanche reden wollte.
»Und jetzt«, sagte Blanche, »zieh dein Kleid aus.«
Ich schüttelte den Kopf, vielleicht etwas zu hastig. »Ich will deine Kleider nicht anprobieren«, sagte ich. »Sie sind sehr schön«, fügte ich schnell hinzu, damit Blanche nicht beleidigt war, »aber ich habe Angst, ich mache etwas kaputt.«
»Unsinn«, sagte sie, trat hinter mich, und ohne mich zu fragen, fing sie an, mein Kleid zu öffnen. Ich mochte zwar inzwischen Übung haben, allein hineinzukommen und alle Haken und Ösen zu schließen, aber das zu tun, während ein anderes Mädchen damit beschäftigt war, sie zu lösen, war vergebliche Liebesmüh.
»Bitte«, sagte ich, »hör damit auf.«
Blanche lachte vergnügt. »Du bist so süß«, sagte sie. »Hast du Angst, jemand hält dich für mich, wenn du eins meiner Kleider trägst, und du musst mein Leben leben, während ich in Zukunft deine Rolle spiele? So ähnlich sehen wir uns nicht.« Wir sahen uns überhaupt nicht ähnlich, von der ungefähren Größe einmal abgesehen. »Und ehrlich gesagt, ist es mir egal, ob du eines von meinen Kleidern anziehst, oder ob du überhaupt etwas trägst, aber ich will dein Kleid.«
Ich errötete bei der Vorstellung, nackt zu sein, und dachte mir schnell, dass sie ja nur das Kleid wollte und nicht mein Leibchen, meinen Unterrock und meine Hosen. »Ich … ich habe das Kleid noch zweimal«, stammelte ich, bevor mir einfiel, dass das keine Alternative war. Das eine Kleid, das ich zum Picknick getragen hatte, war in der Wäsche – ich hatte mich endlich getraut, es Mrs. Arden zu überlassen –, während das dritte versteckt war, bis ich ganz offiziell wieder in den Garten durfte und diesen groben Schmutz damit erklären konnte, dass weißer Stoff im Freien eben nicht lange weiß blieb. Blanche
Weitere Kostenlose Bücher