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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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Nichte, die doch jeden Tag ankommen konnte. Ich war sehr skeptisch, was das anging, und das lag wieder einmal an Rufus. Daran, dass er mich nur selten beim Namen nannte und meistens schlicht mit » Mädchen « anredete, hatte ich mich ja gewöhnt, aber zumindest bei der eigenen Verwandtschaft sollte er doch wissen, wie eine Person hieß. Trotzdem, er sprach immer nur von seiner Nichte, als ob das Mädchen keinen Namen hatte – und das kam mir schon seltsam vor. Einen Reim konnte ich mir nicht drauf machen, also machte ich eine Notiz dazu in meinem Tagebuch. Was für ein diebisches Vergnügen, direkt unter Rufus’ Nase solche Mutmaßungen und Beobachtungen niederzuschreiben!
    Ich rechnete damit, dass es für das Mädchen einen großen Empfang geben würde, wie an dem Tag, als Rufus und Violet mich geholt hatten – die Nichte konnte ja schlecht zu Fuß aus London kommen, und wenn Rufus nicht persönlich hinfuhr, um sie abzuholen, würde er doch zumindest den Kutscher losschicken. Ich hoffte, weil ja immer die Rede davon war, dass ich eine Gesellschafterin für sie werden sollte, dass ich mitfahren dürfte – ich hätte mich sehr gefreut, wieder etwas Stadtluft zu schnuppern, manchmal fehlte mir doch der rauchige Nebel bei all der gesunden frischen Luft, die uns hier umgab. Selbst wenn es nur darum ging, das Mädchen am nächsten Bahnhof abzuholen, wäre ich liebend gerne mitgekommen. Ich mochte mein Hollyhock, aber ich musste auch irgendwann hinauskommen, und da es noch nicht einmal sonntags in die Kirche ging, saß ich wirklich fest in dem Haus. Wenn ich nicht ab und an mal etwas anderes zu sehen bekam, würde ich noch verrückt werden. Verrückter. So hing ich an Rufus’ Lippen, um nicht den Moment, in dem er das Eintreffen der Nichte ankündigte, zu verpassen, und war bereit, bittend und bettelnd auf die Knie zu gehen, um von diesem Abenteuer etwas abzubekommen.
    Umso enttäuschter war ich, eines Morgens zum Frühstück zu kommen und ein fremdes Mädchen auf meinem Platz zu finden, einfach so.
    »Ich möchte dir Blanche vorstellen«, sagte Rufus. »Sie ist heute Nacht angekommen.«
    Ich nickte und zwang ein Lächeln in mein Gesicht. In der Nacht, ausgerechnet! Ich hatte nichts gehört – wie auch, mein Zimmer war weitab vom Schuss. Es konnte ein Feuer im Haus ausbrechen, ich war die Letzte, die davon etwas mitbekam. Aber ein Feuer zu verpassen, hätte mir in diesem Moment weniger ausgemacht – ich hatte mich auf etwas gefreut, und was war daraus geworden? Nichts.
    »Blanche, dies ist Florence«, sagte Violet. »Wir haben dir von ihr erzählt.«
    Das Mädchen wandte sich zu mir um, und ich versuchte, in seinem Gesicht eine Ähnlichkeit zu Tante oder Onkel zu erkennen. Eines hatte Blanche auf jeden Fall mit beiden gemeinsam: Diese fast schon leblose Blässe, bei der noch nicht einmal ein Hauch von Rosa die Wangen zierte, hatte auch sie nicht verschont. Ich vermutete, dass die ganze Familie ziemlich blutarm sein musste, aber solange sie nicht versuchten, zum Ausgleich meines zu trinken, konnte mir das ziemlich egal sein. Und dann diese Augen … Unwillkürlich senkte ich den Blick. Ich wusste es besser, als einem Molyneux in die Augen zu schauen.
    Ansonsten war Blanche ein hübsches junges Ding. Sie musste in meinem Alter sein, irgendwo an der Grenze zwischen Kind und Frau, und auch wenn sie nicht Violets süße, vogelhafte Schönheit geerbt hatte oder Rufus’ steile Wangenknochen und edle Nase, war ihr Gesicht so fein und ebenmäßig, ihr Lächeln so zart, dass sie fast mehr an eine Puppe erinnerte als an einen lebenden Menschen. Das goldblonde Haar trug sie offen und in üppigen Locken, die ihr bis weit auf den Rücken hingen, und es war ein Glück, dass ich niemals um Schönheit gebetet hatte, sonst wäre ich jetzt wohl vor Neid im Boden versunken.
    Aber noch bevor Blanche den Mund aufmachte, wusste ich eines: dass nicht ich geboren war, um die Heldin in dieser Schauergeschichte zu werden, sondern sie. Das arme verwaiste Mädchen, das auf das unheimliche Landhaus des finsteren Onkels kam, um dort die entsetzlichen Geheimnisse aufzudecken …
    So herum ergab alles viel mehr Sinn. Die Heldin musste Abenteuer bestehen, ehe sie erfuhr, was hinter der verbotenen Tür lag – sie bekam nicht gleich am ersten Tag den Schlüssel dazu ausgehändigt. Meine Rolle war vermutlich die der verschrobenen oder garstigen Zofe, die selbst ein dunkles Geheimnis mit sich herumschleppte, zumindest, wenn es nach Mr. Collins ging,

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