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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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in den Busch zurück«, sagte Lucy, »bis mir eingefallen ist, was ich mit ihr tun will. Vielleicht bringe ich sie ja auch auf den Müll zurück, wo ich sie gefunden habe.« Jetzt lachte sie ein bisschen. »Ich bin doch zu alt, um mit Puppen zu spielen, noch dazu mit kaputten.« Sie nahm den Eimer wieder auf, und ich tat es ihr schnell nach. »Aber gruselig ist das schon«, fügte Lucy noch hinzu, und damit war die Sache für sie wohl erledigt.
    »Hör mal«, sagte ich. »Du sagst, es ist dein Geheimnis – und das muss es auch bleiben. Dass du mit mir drüber gesprochen hast, ist gut, aber sonst darfst du es keinem sagen, verstehst du? Wenn irgendjemand von der Puppe erfährt …«
    Lucy sah mich an, als hätte ich sie gerade schwachsinnig genannt. »Das weiß ich doch selbst«, sagte sie leise. »Meinst du, ich habe geglaubt, dass Alan einfach so verschwunden ist? Oder dass er etwas gestohlen hätte? Ich hab zwar keine Ahnung, was hier los ist, aber dass etwas nicht stimmt, das sieht ein Blinder.« Sie klang so grimmig in diesem Moment, und doch konnte sie keine Ahnung haben, in welcher Gefahr sie tatsächlich schwebte. Ich verriet es ihr nicht, ich nickte nur. Und danach sprachen wir nicht mehr darüber.
    Stattdessen versuchte ich, mich darüber zu freuen, dass ich endlich die Hollyhock-Schweine kennenlernte. Es war nicht so, dass ich keine Schweine kannte, auch in St. Margaret’s mästete man eines im Hinterhof. Es waren sicherlich nicht die schönsten oder nettesten Tiere. Aber zu sehen, dass es bei all den seltsamen Dingen, die sich hier ereigneten, auch so etwas Normales wie drei dicke Schweine gab, die fröhlich im Matsch wühlten, tat gut. Der Geruch, der Lärm, das war eine echte Wohltat, und ich vergaß einen Moment lang mein weißes Kleid und meine sauberen Hände und versuchte, eines von den Tieren an der borstigen Stirn zu kraulen. Aber dann half ich doch lieber Lucy, den schweren Eimer in den Trog zu entleeren. Und so widerlich die Mischung für mich auch aussehen mochte, die Schweine freuten sich drüber.
    »Was ist das für ein Zeug?«, fragte ich und rümpfte die Nase. »Außer den Kartoffelschalen, meine ich, die erkenne ich, aber diese schleimige Brühe …«
    »Das ist das Spülwasser«, sagte Lucy, als wäre das selbstverständlich. »Das obere Wasser gießen wir weg, aber unten sammeln sich die ganzen guten Sachen aus den Töpfen und von den Tellern, und die Schweine freuen sich drüber. Die fressen alles.«
    Ich nickte. Eigentlich sollte ich mir über das Spülwasser weniger Sorgen machen als über die Knochen – hieß das, die Schweine bekamen da gerade ihre eigenen Vorgänger vorgesetzt? Es war gut, dass ich gerade trotz des langen Schlafes keinen Hunger hatte. Sonst wäre mir jetzt mit Sicherheit der Appetit vergangen.
    »Nun müssen wir uns aber sputen«, sagte Lucy, »sonst regt sich Mrs. Doyle nur wieder auf.«
    Ich nickte abwesend. An die Köchin mochte ich gerade gar nicht denken, andere Sachen waren wichtiger. Es machte mir Spaß, Lucy zu helfen, ganz abgesehen davon, dass es dem Mädchen das Leben vielleicht etwas erleichterte. Aber mein Platz war nun einmal nicht in der Küche. Und nachdem ich die Überreste von Janet gefunden hatte, war es unabwendbar, dass ich endlich wieder nach den Puppen sah.
    So nutzte ich die Küche nur noch, um mir unter Mrs. Doyles zornigen Blicken schnell die Hände zu waschen, in dem neuen Wasser, das jetzt dampfend heiß war und nur darauf wartete, dass Lucy die nächste Ladung Pfannen darin scheuerte. Dann verabschiedete ich mich und kehrte zurück in meine eigene Welt, in mein eigenes Reich, zu meinen Puppen. Was immer sie sein mochten – ich war bereit.
    Diesmal zögerte ich an der Tür nicht. Ich nahm meinen Schlüssel und sperrte auf, schlüpfte hindurch und schloss von der anderen Seite ab, so wie ich es jeden Tag tat. Dann zündete ich die Kerzen an und blickte mich um. Die Puppen waren Puppen. Ich atmete erleichtert auf, aber irgendwie war ich nicht zufrieden. Spätestens seit ich Janet gefunden hatte, wusste ich ganz genau, dass ich mir die Kokons nicht eingebildet hatte, und es hätte mir nichts mehr ausgemacht, die Puppen noch einmal so zu sehen. War das alles nur das Werk des Feenstaubs gewesen, oder besaß ich doch eine Gabe, die mich zu etwas Besonderem machte? Mein ganzes Leben hatte ich es insgeheim geahnt, ich war anders als die übrigen Mädchen und stolz darauf. Wenn die Puppen jetzt nur Puppen waren, und blieben, war das doch eine

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