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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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… Ich wusste immer noch nicht, womit er sein Geld verdiente, aber vielleicht hatte er vor der Erbschaft wirklich als Bestatter gearbeitet, wo er schon wie einer aussah. Neben der Frage, was er war, wenn kein Mensch, war das ganz in den Hintergrund getreten, aber jetzt war ich gerne bereit, mich an so etwas festzubeißen, wenn ich mich so davor drücken konnte, mir über alles, was mit meinem Erwachen zu tun hatte, Gedanken machen zu müssen.
    »Und du, Mädchen, kannst dich entfernen«, sagte Rufus gewollt beiläufig. Ich ahnte, dass es jetzt für Blanche eine Standpauke setzen würde, die zu viele Details enthielt, welche ich noch nicht erfahren durfte, und nutzte die willkommene Gelegenheit, wieder durch die Regaltür zu verschwinden. Sogar an den kleinen Riegel dachte ich, damit Blanche mir nicht einfach folgen konnte. Aber jetzt – wohin? Wo Rufus mich gerne haben wollte, wusste ich: bei den Puppen. Wo ich nicht hinwollte, wusste ich auch: nämlich zu den Puppen. Aber das war der eine Raum, in den Blanche mir nicht nachlaufen konnte. Kehrte ich in mein Zimmer zurück, würde Blanche nur eine halbe Stunde später wieder in der Tür stehen, mit ihrer Befehlsstimme und vermutlich wütend. Nein, das war sinnlos. Jetzt wäre die perfekte Gelegenheit gewesen, Alan um Rat zu fragen. Nur, Alan war nicht mehr da. Aber ich machte mich trotzdem auf den Weg in den Keller.
    Ehe ich die Tür zur Küche aufstieß, fühlte ich einen Moment lang wieder diese Angst. Was, wenn mein Erwachen hier unten seine Fortsetzung nahm und ich anstelle der Köchin oder ihrer Mädchen irgendetwas anderes zu sehen bekam? Ich schüttelte den Kopf. So durfte ich nicht denken, sonst konnte ich mir gleich einen Strick nehmen.
    Vielleicht hätte ich doch noch einmal nach den Puppen sehen sollen. Blanche konnte recht damit haben, dass die Wirkung des Staubes auch wieder verfliegen könne, ohne dass ich endgültig erwachen musste … Aber ich traute mich nicht. Noch nicht. Und als ich die Köchin durch die Tür hindurch keifen hörte, nickte ich mir selbst aufmunternd zu und trat ein.
    »Einen Löffel Senf hab ich gesagt!«, fauchte Mrs. Doyle die arme Evelyn an. »Kein halbes Pfund!« Die Kopfnuss für das Mädchen war so heftig, dass ich sie hören konnte, und schon vor lauter Mitleid bekam ich Kopfschmerzen, aber dann war ich an der Reihe. »Was suchst du denn hier?«
    »Ich will mithelfen«, antwortete ich mit dümmlichem Augenaufschlag. »Ich ertrage es nicht, wenn ich nichts zu tun habe.«
    »Ha!«, machte Mrs. Doyle. »Ha! Das hast du dir so gedacht, was? Wochenlang bekommen wir deine vorwitzige Nase nicht zu Gesicht, und jetzt tauchst du plötzlich auf und denkst, du kannst hier alles durcheinanderbringen, was? Na, deinen feinen Schatz haben sie ja schon aus dem Haus gejagt, und du kommst auch bald dran!«
    Es versetzte mir einen Stich, wie sie von Alan sprach, aber ich musste auf so etwas gefasst sein. Das war ja nicht mein erster Zusammenstoß mit einer Köchin. »Ja, Ma’am«, sagte ich artig. »Und nein, Ma’am. Ich weiß, dass Lucy viel von Alans Arbeit hat übernehmen müssen, und darum bin ich jetzt hier, um ihr zu helfen. Alles andere wäre nicht gerecht, oder?«
    »Ach was?«, schnaubte die Köchin. »Von mir aus kannst du Pfannen schrubben, bis deine feinen Fingerchen bluten, aber dass du mir die Lucy nicht von der Arbeit abhältst!«
    »Auf keinen Fall, Ma’am«, sagte ich, und hinter ihrem Rücken zwinkerte ich Lucy zu, die in ihrer Ecke saß, über ihren Scheuerzuber gebeugt, und sich kaum traute, auch nur meinen Blick zu erwidern. Es kam mir vor, als ob sie noch schmaler geworden war, seit ich sie das letzte Mal gesehen hatte, und blass um die Nase. Aber davon abgesehen waren alle drei Personen im Raum ganz normale Menschen, sonst nichts, und ich freute mich, sie alle wiederzusehen, sogar Mrs. Doyle, aber es war Lucys Anblick, bei dem mein Herz einen Hüpfer machte. Langsam gewöhnte ich mich daran, dass die Welt wieder war, was sie sein sollte, oder zumindest, wie ich sie gerne hatte.
    »Mrs. Doyle?«, flüsterte Lucy heiser, als ich mich neben sie setzte. Sie roch nach Küche und Wärme und Mensch, und erst da fiel mir auf, dass Blanche nur nach Puder roch und Parfüm und sonst nach nichts. »Kann Florence … Kann Florence mir mit dem Eimer helfen, und ich trage die Abfälle raus? Mein Wasser ist sowieso kalt geworden, und bis das neue heiß ist, kann ich nicht viel machen.«
    Prompt fing sie sich eine Backpfeife ein.

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