Das Puppenzimmer - Roman
hätte ich sie jemals ausgesprochen, ich wäre nackt durch das Dorf getrieben worden, ausgepeitscht und im Teich ertränkt …
Ich schüttelte mich, doch immer noch vor Lachen. Ich konnte nur dann damit aufhören und nach Luft schnappen, wenn ich an überhaupt nichts mehr dachte, aber dafür waren um mich herum einfach zu viele Seelen.
Nur wenn ich in Richtung Vitrine schaute und nicht daran dachte, rechtzeitig den Blick abzuwenden, packte mich einen Moment lang wieder das kalte Grauen. Die Puppen, die sich böse angefühlt hatten für ein dummes Mädchen, das nicht wusste, mit was sie es in Wirklichkeit zu tun hatte – sie waren wirklich böse. Es gab gute, freundliche Seelen, rein und weiß, und es gab … die anderen Seelen. Sie waren so finster, dass es durch ihre Hülle hindurchzuschimmern schien. Die Kokons waren immer noch aus feiner weißer Seide, aber was dahinter lag, war schwarz wie Teer. Ich ertrug den Anblick nicht, und ich fürchtete den Moment, da eine dieser Seelen ausbrechen würde. Ich fühlte Hass, kalten Hass, der in mich hineinkriechen wollte und mich vergiften, allein vom Hinschauen. Einmal, zweimal gelang es mir noch, mich wieder auf andere Gedanken zu bringen, aber Gedanken kamen und gingen, die Puppen jedoch blieben. Jetzt lachte ich nicht mehr, sosehr ich mir auch wünschen mochte, einfach wieder damit anfangen zu können. Und als ich glaubte, da oben eine Regung zu bemerken, hätte ich fast noch einmal geschrien. Hastig stellte ich meinen Blick wieder um auf die unschuldigen Puppengesichter, aber selbst die erschienen mir jetzt verzerrt von all dem Hass in ihrem Inneren.
Es half alles nichts. Ich musste mit Rufus reden. Die erste Erkenntnis hatte ich hinter mir: Ich wusste, dass es Seelen waren. Aber jetzt, wo ich mich damit abgefunden hatte, reichte mir das nicht mehr. Ich musste wissen, wer sie waren und warum es sie gab, was aus ihnen wurde, wenn sie herangereift waren. Rufus, Violet und auch Blanche, sie alle drei kannten die Wahrheit, aber von ihnen würde mir Rufus die knappste und treffendste Antwort geben, schon um mich schnell wieder los zu sein, und genau das brauchte ich jetzt. Das Geheimnis der Puppen, schnell und schonungslos. Rufus hatte mich eingeladen, zu ihm zu kommen, wenn ich erwacht war, und erwachter als jetzt konnte ich kaum mehr werden.
Aber als ich in die Bibliothek trat – ich nahm die Abkürzung, es war so viel geheimnisvoller, hinter einem schmalen Brett zwischen zwei Bücherregalen hervorzutreten, als sich in der Halle mit Mr. Trent anzulegen –, war Rufus nicht da. Schlimmer noch: Ich traf stattdessen auf Blanche. Ich fürchtete, dass sie wütend auf mich war, aber stattdessen stürmte sie auf mich zu, warf sich mir an die Brust und erdrückte mich fast mit ihrer Umarmung. »Florence! Du kommst, um mich zu retten!«
»Äh …«, sagte ich, »eigentlich nicht. Eigentlich suche ich Rufus.«
»Er ist nicht da!« Blanche begann zu schluchzen. »Er hat mich hier eingeschlossen! Schon den ganzen Tag lang!«
Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. In St. Margaret’s hätte Blanche keine drei Tage durchgehalten. Sie ahnte gar nicht, was für ein Glück sie hatte, hier gelandet zu sein statt in einem Waisenhaus … Aber die ganze Waisengeschichte kaufte ich ihr ohnehin nicht mehr ab. »Warum hast du nicht diese Tür hier genommen?«
»Die war doch abgesperrt, bis du sie geöffnet hast!«
»Du hättest auch aus dem Fenster klettern können.« Ich wünschte, Blanche würde mich langsam wieder loslassen, aber sie hielt mich weiter fest und drückte mich und schmiegte ihren lockigen Kopf an meine Schulter, dass mich Mitleid überkam. »Ich bin ja jetzt da, von mir aus komm mit, ich bringe dich in dein Zimmer.« Etwas spitzer fügte ich hinzu: »Aber nur, wenn du mir versprichst, dass du nicht schon wieder versuchst, mich zu etwas zu zwingen, das ich nicht will.«
»Das tue ich nie wieder, ich verspreche es!« Ich ahnte schon, was dieses Versprechen wert war … »Aber bitte, lass mich raus aus dieser entsetzlichen Bibliothek! Nichts als Bücher und Bücher überall.«
»Aber es stehen schöne Geschichten darin!«, versuchte ich noch ein letztes Mal, das, was ich liebte, zu verteidigen. Gut, ich liebte die Bücher längst nicht so sehr, wie ich gedacht hatte, ich musste nicht mehr lesen, um Abenteuer zu erleben, und vielleicht hätte es mir jetzt auch gereicht, mir wie Rufus die Todesanzeigen anzuschauen, aber trotzdem, Bücher waren Bücher, und
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