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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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»Ich hab dir gesagt, kümmer dich rechtzeitig um dein Wasser!« Einen Moment lang spürte ich tiefe Dankbarkeit Rufus gegenüber. Das wäre mein Schicksal gewesen, hätte er mich nicht aus dem Waisenhaus geholt. »Aber von mir aus schnappt euch den Kübel. Passt nur auf, dass du Missy hier nicht ihr schönes Kleid schmutzig machst!«
    So kam ich wieder darum herum, Töpfe zu schrubben, und schleppte stattdessen zusammen mit Lucy einen Eimer voller Küchenabfälle hinaus. Ich sah Knochen, welke Rübenblätter und Kartoffelschalen, aber das Ganze war mit etwas Undefinierbarem, Fiesem gemischt, dass mir davor grauste, es auch nur an die Schweine zu verfüttern. Und schwer war der Bottich! Für Alan mit seinen kräftigen Armen sollte das kein Problem gewesen sein, aber Lucy war so rappeldürr, ich konnte ihr mit einer Hand um den Arm greifen, und die Vorstellung, dass sie sich sonst ganz allein mit dem schweren Kübel abmühen musste, tat weh.
    »Danke«, flüsterte Lucy, als wir mit unserer unappetitlichen Fracht aus dem Dienstbotenausgang traten. »Und schön, dass du wieder da bist. Ich hab mich schon gefragt, was wohl aus dir geworden ist, wo du jetzt mit den Herrschaften isst.«
    »Ein hungriges Mädchen«, antwortete ich. »Glaub mir, unten bei euch habe ich besser gegessen.«
    Lucy nickte. Eine Weile schleppten wir schweigend. Wir kamen nur langsam voran, und der Eimer war sehr voll – ich hatte Angst, das Zeug könnte mir auf die Füße kleckern, und auch wenn ich sonst nicht zimperlich war, das musste wirklich nicht sein. Ich hatte gerade erst wieder ein sauberes Kleid bekommen; das sollte noch eine Weile vorhalten. Schließlich fragte Lucy: »Du, Florence … kannst du ein Geheimnis bewahren?«
    Ich nickte. »Das verspreche ich«, sagte ich, aber sie schien mir nicht so recht zu glauben, also trug ich noch etwas dicker auf: »Ich schwör es dir, beim Grab meiner Mutter.« Es schmeckte wie eine Lüge. Wie sollte ich bei etwas schwören, von dem ich nicht wusste, ob es das überhaupt gab? Aber ich hatte nichts Größeres, bei dem ich schwören konnte, und so vertraute Lucy mir wenigstens.
    »Ich hab nämlich was gefunden«, sagte sie so leise, als ob sie Angst hätte, dass es selbst weit weg vom Haus, auf dem halben Weg zum Schweinekober noch jemand hören könnte. »Ich hab es versteckt, ich hab mich nicht getraut, es mit ins Haus zu bringen … Das war richtig gruselig!«
    Während sie sprach, lief mir eine Gänsehaut über den Rücken. Ich wusste nicht, was Lucy meinte, aber ich ahnte, dass es nichts Gutes sein konnte. Es machte mich wütend. Mit mir konnten die Molyneux’ meinetwegen anstellen, was sie wollten, aber wenn sie jetzt auch noch Lucy mit hineinzogen, ihr Angst einjagten … Das würde ich nicht zulassen! Ich hatte schon Alan verloren. Ich würde mir nicht auch noch Lucy nehmen lassen, und wenn man mir zehn Blanches dafür gab.
    Kurz vor dem Schweinekober blieb Lucy stehen und nickte mir zu, damit wir den Eimer absetzten. Die Schweine würden ihr Fressen noch bekommen, aber erst einmal gab es etwas, das Lucy mir zeigen wollte. Sie lief, nicht ohne sich dabei dreimal umzusehen, zu einem Busch mit dichtem Grün und vielen weißen Beeren, die aussahen wie Kichererbsen, und streckte den Arm tief hinein. Dann winkte sie mir, zu ihr zu kommen. »Hier!« Sie bewegte nur noch die Lippen, sprach es kaum aus. »Das habe ich auf dem Müll gefunden. Ist das nicht schrecklich?«
    Ich sah hin, wo sie die Zweige des Busches teilte, und dann blieb mir fast das Herz stehen. Lucy hielt eine meiner Puppen in der Hand. Janet. Oder das, was von ihr übrig war.
    »Gib das her!«, fuhr ich sie entgeistert an, und ohne eine Antwort abzuwarten, riss ich Lucy die Puppe aus der Hand und zog sie aus dem Gebüsch. Kälte griff nach mir, und ich fühlte mich, als ob mich jemand würgte. Die blauen Augen starrten genauso leer und blicklos wie früher aus dem Porzellangesicht, aber ein breiter Riss trennte das eine vom anderen, schob sich an der Nase vorbei und spaltete den Kopf in zwei Hälften. Oben verschwand er unter dem Haaransatz. Janets einstmals makellose Locken waren jetzt wirr und schmutzig, aber sie hielten zumindest den Kopf zusammen. Jenseits des Halses setzte sich der Riss fort. Der Körper des nackten Puppenkindes war aufgebrochen, als hätte ihn etwas von innen heraus gesprengt wie ein zu enges Kleid. Zerbrochen und dann auf den Müll geworfen – ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich einmal um eine

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