Das Puppenzimmer - Roman
Enttäuschung.
Ich baute mich vor dem Kaminsims auf wie Miss Mountford, wenn sie die Reihen der Waisenmädchen abging und kontrollierte, dass wir alle auch blankgeschrubbte Fingernägel hatten, und starrte die Puppen so streng an, dass sie kein Geheimnis vor mir verbergen konnten. Dann, ich wusste selbst nicht, wie ich es tat, ließ ich meinen Blick langsam auseinanderdriften. Es war ein wenig wie schielen, und im Schielen war ich immer schon gut; kaum eine schnitt so gute Grimassen wie ich, dass ich immer noch ein Clown werden konnte, wenn gerade keine Seiltänzerinnen gebraucht wurden. Die Welt glitt zur Seite wie ein Vorhang, und dahinter, als hätte ich sie schon tausendmal gesehen und wüsste genau, was ich tat, lag die andere Welt. Wenn ich die Puppen auf diese Weise betrachtete, waren es Kokons, in denen etwas lebte. Wenn ich anders schaute, waren es Puppen. Hin und her, ich wechselte schneller von einer Welt in die andere, als ich die Seiten eines Buches umblättern konnte. Puppen. Kokons. Puppen. Kokons. Ich konnte bestimmen, was sie waren. Es machte mir keine Angst mehr. Ich wusste, was ich zu erwarten hatte, und das bekam ich auch.
Erst leise, dann immer lauter, begann ich zu lachen und konnte nicht mehr damit aufhören. Ich wusste nicht, was da in meinem Innersten aufstieg und meine Kehle hinaufperlte, vielleicht ein hysterischer Anfall, und von einem Mädchen, das kreischte und einfach in Ohnmacht fiel, konnte man nichts anderes erwarten. Aber es fühlte sich an wie ein Anfall von Glück.
Ich hatte mein Reich erobert, und jetzt eroberte ich mich selbst. Es war eine Gabe, aber keine, die mich beherrschte, ich selbst war es, die das Sagen hatte. Herrin meines Körpers, meines Herzens, meines Verstandes – und meines Glücks. Ich wollte vor lauter Freude das Rad schlagen, aber dafür war zu wenig Platz im Raum, irgendein dummer Mensch hatte ein Sofa mitten hineingestellt. Also machte ich stattdessen Purzelbäume, wo es niemand sehen konnte und niemand mich auslachte. Ich drehte mich im Kreis mit ausgebreiteten Armen, bis mich der Schwindel von den Füßen riss und ich auf den Teppich fiel, wo ich mich weiterdrehte wie ein glücklicher kleiner Kinderkreisel. Ich wusste, die Puppen schauten mir zu, aber sollten sie nur, es kümmerte mich nicht. Ich war endlich erwacht. Nur als was, das wusste ich noch nicht.
Ich verbrachte fast den ganzen Tag mit den Puppen, als müsste ich mich erst wieder mit ihnen bekannt machen – es war lächerlich, die Puppen kannten mich schon längst, aber ich wollte sie mir ansehen, eine jede von ihnen, und mich daran gewöhnen, dass in jeder von ihnen eine Seele schlummerte, die nur darauf wartete, groß und stark zu werden und hinauszubrechen in die Welt. Langsam begann ich, sie zu verstehen. Manche waren fast so reif wie Janet, dass sich ihr Kokon zu rühren begann und zitterte von der Macht, die sich aus seinem Inneren ins Freie arbeiten wollte wie ein Küken, das an seiner Eierschale pickte und pickte, bis es ein Loch geschaffen hatte, und damit eine Tür zur Welt. Bei diesen Fällen konnte man es der Puppe schon anmerken, dass sie bald bereit war. Sie fühlte sich lebendig an, warm und freundlich.
Andere Seelen waren nur ein kleiner Funken, der ruhig schlief und noch lange brauchen würde, bis er so weit war. Ich wusste nicht, wie lange es dauerte, bis eine Seele reifte – natürlich, ein Kind kam nach einem Dreivierteljahr auf die Welt, das hatte ich schon in vielen tragischen Romanen gelesen, in denen arme Mädchen erst schändlich verführt wurden, um dann neun Monate später Schande über ihre Familie zu bringen. Aber das hier waren keine Babys, in den Kokons wuchs eine andere Form von Leben heran, und wenn die alte Miss Lavender so viele Jahre lang die Puppen gesammelt hatte, wie ich glaubte, dann brauchte eine Seele viele Jahre, um zu reifen. Sie hatten Glück, dass ausgerechnet jetzt, wo die ersten schlüpfen wollten, ich für sie da war. Ob sie mich dann für ihre Mutter hielten, wie die Amselküken, die aus dem Nest gefallen waren und dann – selbst wenn man sie zurücksetzte – kläglich verhungerten, weil ihre richtigen Eltern sie nicht mehr erkannten? Ich lachte bei der Vorstellung. Ich lachte über alles.
Vielleicht war es aber auch die Wiege der Menschheit, vielleicht kamen alle Seelen in Wirklichkeit aus solchen Kokons? Vielleicht glaubten die Leute in Hollyhock deswegen nicht an Gott, weil sie es besser wussten? Ich erschrak bei diesen Gedanken;
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