Das Rachespiel: Psychothriller (German Edition)
Körpers, aber sie ignoriert sie, gebrochen ist nichts.
Als sie noch leicht taumelnd auf die Füße gekommen ist, fällt ihr Blick sofort in das Loch. Wieder trifft die Grausamkeit des Anblicks sie mit voller Wucht, doch sie schafft es, nicht wieder die Besinnung zu verlieren.
Festus liegt noch an der gleichen Stelle wie zuvor, aber es hat sich etwas Entscheidendes verändert. Sein Kopf ist stark verformt, die Schädeldecke ist tief eingedrückt. Seine Haare sind blutgetränkt, neben seinem Kopf hat sich eine große Blutlache gebildet. Es ist ein grauenhafter Anblick, aber das Schlimmste sind die beiden Ratten, die neben der furchtbaren Wunde an Festus’ Kopf sitzen und zu ihr hinaufschauen.
Ihre Schnauzen sind blutverschmiert.
Manu dreht sich um und geht los, so schnell es über die Trümmer möglich ist. Sie achtet nicht darauf, wohin sie ihre Füße setzt, stolpert, stürzt. Sie richtet sich wieder auf und taumelt weiter. Raus, nur raus, weg von dem, was sie gerade gesehen hat. Sie erreicht das Fenster, klettert hindurch, schaut nicht nach links oder rechts, als sie aus der Nische auf den Boden springt. Mit letzter Kraft schafft sie es um die Ecke der Baracke, dann sinkt sie mit dem Rücken an der Wand zu Boden, sitzt da mit angewinkelten Beinen und vergräbt ihr Gesicht in der Armbeuge.
Manu weint, wie sie noch nie zuvor in ihrem Leben geweint hat. Es sind krampfartige Schübe von einer Heftigkeit, die ihren ganzen Körper durchschütteln. Und doch dringt kein Ton über ihre Lippen. Es ist ein lautloser Zusammenbruch.
Manu hört die Schritte schon einige Zeit, als sie den Kopf hebt. Sie weiß, er ist es. Er kommt zurück.
Schnell drückt sie sich hoch und lugt um die Ecke. Es ist tatsächlich der Vater von Jens. Der Mörder. Er trägt etwas unter dem Arm, ein dunkles Paket. Nein, es ist kein Paket, wie sie Sekunden später feststellt. Es scheint eine zusammengerollte Plane zu sein. Der Mörder verschwindet im Inneren der Fabrik, und Manu lehnt sich wieder gegen die Wand.
Manu weiß, jetzt wird er ihn aus dem Loch holen und in die Plane einwickeln, die er mitgebracht hat. Sie weiß es einfach. Sie überlegt sich, wie er in das Loch gekommen ist, um … Und wie er jetzt da hineinkommen will. Aber ganz egal wie, er hat Festus den Schädel eingeschlagen.
Manu muss sich zum zweiten Mal übergeben. Sie beugt sich einfach ein Stück nach vorne und spuckt den restlichen Mageninhalt aus.
Irgendwann kommt der Mörder, der der Vater eines ihrer Freunde ist, zurück. Er hat Festus in die Plane eingewickelt und sie oben und unten mit Klebeband verschlossen. Manu sieht die dicke, geknickte Plastikwurst, die über Brust und Rücken des Mörders hängt. Sie schaut dem Mann nach, der den toten Jungen wegträgt.
Als sie ihn nicht mehr sehen kann, ist nicht nur Manus Kindheit und Jugend vorbei. Ihre junge Seele hat so schweren Schaden genommen, dass sie sich davon nie mehr erholen wird.
Eine halbe Stunde später klettert sie auf das Dach der Fabrik und nimmt die Fahne an sich.
Damals …
Manu
4
Manu spricht kaum noch und verlässt ihr Zimmer nur, um zur Schule zu gehen. Alle Bemühungen ihrer Mutter, herauszufinden, was mit ihrer Tochter geschehen ist, scheitern. Am Unterricht beteiligt sie sich nicht mehr und reagiert auch kaum, wenn die Lehrer sie ansprechen.
Sie weiß nicht, was Fränkie, Fozzie und Kupfer machen, sie sind in anderen Klassen. Es ist ihr auch egal. Sie möchte, nein, sie kann keinen der drei mehr sehen. Wenn sie an Kupfer denkt, wird ihr schlecht, Gedanken an Fozzie und Fränkie machen sie so unsagbar wütend, dass sie jedes Mal etwas kaputt machen muss, um nicht daran zu ersticken.
Manus Mutter schleppt sie zu Psychiatern, Psychologen, Psychoanalytikern. Das Ergebnis sind immer irgendwelche bunten Pillen und Therapiestunden, in denen sie einem Mann oder einer Frau gegenübersitzt und sich in ihr Innerstes zurückzieht, während sich die Lippen ihres Gegenüber bewegen und Dinge sagen, die an ihr abprallen.
Manu lebt fast nur noch in ihrem Innersten, denn dort gibt es nur die Dinge, die es geben darf. Schöne Dinge.
Fränkie, Fozzie, Kupfer, Festus … sie alle sind in diesem inneren Manu-Universum nicht existent.
Nach einem halben Jahr muss sie die Schule verlassen, kommt in eine Sonderschule. Immer neue Ärzte versuchen sich an ihr, immer weiter kapselt sie sich von allem ab.
Fast genau ein Jahr nach dem Einsturz des Fabrikdaches kommt Manu in eine psychiatrische Klinik. Anfangs darf
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