Das Rachespiel: Psychothriller (German Edition)
wirklich mit Festus passiert ist. Ob er vielleicht verletzt in den Trümmern gelegen hat und qualvoll gestorben ist, weil wir abgehauen sind und keine Hilfe geholt haben. Wir konnten nur Vermutungen anstellen. Warum zum Teufel hast du uns nicht gesagt, dass Festus tot ist? Und dass dein Vater seine Leiche beseitigt hat?«
»Weil ich Angst hatte. Außerdem, was hätte es denn geändert, wenn ihr gewusst hättet, dass er tot ist? Das war doch das Schlimmste, was wir uns vorstellen konnten.«
»Aber wir hätten es zumindest gewusst, verdammt nochmal. Und wir hätten mit diesem Wissen die Chance gehabt, irgendwann damit abschließen zu können und nicht immer wieder Albträume zu haben. Du hättest es uns sagen müssen.«
»Aber ich hatte Angst.«
»Ja, du hattest Angst«, sagte Torsten, und die ganze Verachtung, die er für Jens empfand, schwang in diesen Worten mit. »So wie du immer vor allem Angst hattest, du beschissener Feigling.« Dann hob er den Kopf und schrie mit aller Kraft: »Gib ihm seinen Scheißpunkt, du Psychopath! Mal sehen, wie lange er ihn behält.«
Und wieder an Jens gewandt fügte er hinzu: »Jetzt solltest du wirklich Angst haben. Du hast allen Grund dazu. Und nun verpiss dich.«
21
– 23 : 16 Uhr
Jens starrte erst Torsten an, dann Frank und Manuela, schließlich wieder Torsten. »Was heißt das? Wieso soll ich mich verpissen? Und außerdem hast du das nicht zu bestimmen. Was sagt ihr dazu? Frank? Manuela? Ich kann doch bleiben, oder? Ihr … ihr könnt mich doch nicht einfach so rauswerfen.«
Jens’ Worte prallten an Frank ab. Ein seltsames Gefühl hatte von ihm Besitz ergriffen, etwas in ihm hatte sich in den letzten Minuten verändert, ohne dass er hätte beschreiben können, was genau. Es fühlte sich kühl an, nein, kalt. Aber es hatte nichts mit der Kälte zu tun, die in der Anlage herrschte.
Fast dreißig Jahre lang hatte er mit der Ungewissheit gelebt, ob Festus damals bei seiner Mutprobe mitsamt dem Dach eingestürzt und dabei ums Leben gekommen war oder nicht. Tagelang hatten Feuerwehr, THW und Polizei alles durchsucht, eine ganze Hundertschaft hatte jeden Zentimeter durchkämmt, sogar Suchhunde waren eingesetzt worden. Ohne Erfolg. Und dennoch hätte Festus irgendwo da unten liegen können, in einem Schacht, den man nicht gefunden hatte. Und genauso gut hätte es sein können, dass er weggelaufen war, vielleicht weil er sich dafür schämte, dass er zu feige gewesen war, die Mutprobe überhaupt zu versuchen. Wie weit wäre er dann wohl gekommen? Ein dreizehnjähriger Junge mit dem Verstand eines kleinen Kindes? Wieder und wieder hatte Frank in all den Jahren mögliche Szenarien durchgespielt, in seinen Gedanken, in seinen Träumen. Und dabei nicht gewusst, was Jens ihnen die ganze Zeit über verschwiegen hatte. Dass Festus tot war. Jens hätte ihm und den anderen dreißig Jahre Qual mit einem einzigen Anruf ersparen können. Ja, sie war schlimm, die Gewissheit, dass Festus bei dem Versuch, ihre dämliche Mutprobe zu bestehen, gestorben war. Aber es war etwas, womit er sich auf irgendeine Art arrangieren, womit er leben konnte. Nein, er konnte, er
wollte
Jens nicht verzeihen, was er ihm und den anderen durch sein Schweigen angetan hatte. Zumal es in dieser Nacht um alles ging. Um sein Leben. Und das seiner Frau und seiner Tochter. Nein, er würde keine Rücksicht mehr nehmen auf Menschen, die selbst rücksichtslos waren.
»Es ist besser, du gehst«, sagte er tonlos. Und gleich darauf zu Torsten: »Wo ist das Stethoskop?«
Torsten atmete schnaubend aus. »Du gibst es nicht auf, oder? Gut, Fränkie-Boy, dann sage ich dir was: Ich habe mir eben ernsthaft überlegt, es euch zurückzugeben. Nachdem ich jetzt aber weiß, dass ihr mich alle drei beschissen und hintergangen habt, ist es wohl nur fair, wenn ich es als kleine Wiedergutmachung behalte.«
»Nein, das ist nicht fair«, meldete sich Manuela zu Wort. »Ich habe niemanden hintergangen, zumindest nicht wissentlich. Aber das interessiert dich wohl nicht.«
Torsten lehnte sich zurück. »Richtig, kleine Manu, es interessiert mich nicht.«
»Dann hau du auch ab«, sagte Frank, wobei ihm im gleichen Moment klarwurde, dass er nicht mit Manuela allein in diesem Raum bleiben konnte. Sie hatten beide kein funktionierendes Telefon mehr, und bei geschlossenen Türen würde es stockdunkel sein.
»Das hätte ich sowieso getan.« Torsten stand auf. Ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, nahm er sein Telefon und ging zur
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