Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)
Fallgitter hinabstürzte. Das Gitter durchbohrte das Dach des Wagens und verkeilte sich. Die Pferde wurden durch das plötzliche Stoppen des Wagens zurückgerissen und stürzten wiehernd zu Boden.
Schon stürmten Ziegen, Ochsen und ein knappes Dutzend aufgeregter Menschen an dem zerstörten Wagen vorbei, der das Fallgitter offen hielt, und verschwanden in den verwinkelten Gassen der Altstadt.
Keine Stunde später saß ein untersetzter Mann mit Mantel und Kapuze allein in der hintersten Ecke der am Rathaus gelegenen Schenke Schwarzer Adler und trank einen Krug Bier. Mit der rechten Hand fühlte er nach seinem Dolch, an dem immer noch das Blut eines Ochsens klebte.
Ging es nach ihm, sollte dies nicht das einzige Blut bleiben, das seine Anwesenheit in Cassel fordern würde.
65
»Glaubst du nicht, du übertreibst ein wenig?«, fragte Julia mürrisch, während ich unbeirrt auf der Autobahn nach Norden fuhr.
»Ein Handy zu orten ist sicher die leichteste Übung für die. Und mein USB-Internetstick ist letztlich nichts anderes als ein Handy, nur dass er Daten und keine Worte übermittelt.«
Es war dunkel, und wir waren allein auf der Autobahn.
Julia zupfte an meinem Ärmel. »Wenigstens anziehen hättest du dich können. Sieht aber schick aus, dein Schlafanzug.«
»Ich kenne einen Ort, wo wir uns erst einmal für ein paar Tage verstecken können.«
Julia fragte nicht, wo. Es gefiel mir, dass sie mir vertraute. Sie schloss die Augen und schien wieder einzunicken.
Wir waren keine Stunde unterwegs, als vor uns die Autobahnausfahrt von Göttingen auftauchte. Am Horizont begann die Sonne aufzugehen und tauchte den Himmel in ein zartes Rosa. Ich bremste ab und verließ die Autobahn. Julia öffnete die Augen und blickte sich um.
»Wo sind wir?«, wollte sie wissen, während sie sich verschlafen reckte.
»In Göttingen. Hier wohnt eine ehemalige Mandantin von mir«, entgegnete ich. »Ich hoffe, wir können bei ihr übernachten.«
»Und hattest du zu allen Mandantinnen ein so gutes Verhältnis, dass du bei ihnen übernachten kannst?«, erkundigte sich Julia.
Ich schaute kurz nach rechts, um mich zu vergewissern, ob ich tatsächlich so etwas wie Eifersucht aus ihrer Frage herausgehört hatte. »Sie ist sechzig Jahre alt oder so«, erwiderte ich.
»Ah, so einer bist du also«, entgegnete sie.
»Ganz genau. Werde du erst einmal dreißig Jahre älter. Dann bin ich ganz verrückt nach dir.«
Sie gluckste vor Lachen.
Ich fuhr langsamer und konzentrierte mich wieder auf die Straße vor mir.
»Hier ist es, wir sind da!«, rief ich nach einiger Zeit. Ich zeigte nach vorn und bog auf den kleinen Hof ein. Wir passierten das Backsteingebäude, in dem der Betrieb Söhnke & Söhne untergebracht war. Der Hof machte im Kegel meiner Scheinwerfer einen aufgeräumteren Eindruck als bei meinem letzten Besuch.
»Eine Fabrik?«, fragte Julia etwas verwirrt.
Ohne zu antworten, fuhr ich im Schritttempo weiter, bis wir den Bungalow erreichten. Ich parkte den Wagen direkt davor.
»Hier wohnt die Besitzerin des kleinen Betriebs«, erläuterte ich.
Ich schaute auf die Uhr. Es war noch früh am Morgen. Die Chancen standen gut, dass Ingrid noch schlief. In diesem Moment öffnete sich die Haustür, und sie trat mit langsamen Schritten auf unser Auto zu. Wir stiegen aus.
Als Ingrid mich erkannte, rief sie laut: »Du bist das!«, und fiel mir um den Hals. Sie wischte sich einige Tränen aus dem Gesicht und bemerkte dann erst Julia, die etwas unschlüssig neben uns stand. Sie nahm auch sie in den Arm. »Ingrid Söhnke. Nennen Sie mich aber gern Ingrid.«
Sie schob uns zur Haustür. »Kommt herein. Was führt euch so früh zu mir?«
»Warum bist du schon so früh auf?«, fragte ich zurück, ohne ihr zu antworten.
»Ich schlafe nie mehr als drei oder vier Stunden und nie länger als bis vier Uhr«, erwiderte sie. Sie strich mir mit der Hand über die Schulter. »Hast du etwa einen Schlafanzug an?«
Gerade war ich dabei, mir eine gute Erklärung zu überlegen, als Ingrid sich erst zu Julia und dann wieder zu mir drehte und mit einem breiten Lächeln bemerkte: »Aber eine hübsche Freundin hast du da!«
Ich lächelte zurück und sah aus dem Augenwinkel, wie Julia mir einen verlegenen Blick zuwarf. »Das stimmt«, sagte ich.
Kaffeeduft stieg mir in die Nase, als wir eintraten.
66
Cassel, 1717
»Mägde dürfen neuerdings nicht mehr ohne ihre Herren in den Park«, berichtete Anne Rosine. »Der Landgraf hat es so verfügt. Auch, dass
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