Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)
wieder«, antwortete Leibniz mit Bedauern.
In diesem Moment näherte sich der Hofmeister.
»Dieses furchtbare Gerät muss jetzt hier weg! Alles muss sofort abgebaut werden!«, rief er und wedelte aufgeregt mit den Händen. »Wir benötigen diesen Platz für die Kutschen, welche die Gäste von der Cour abholen kommen. Dies muss alles augenblicklich verschwinden!«
Leibniz und Orffyreus verabschiedeten sich voneinander. Anschließend ging der greise Gelehrte mit bedächtigen Schritten auf das Schloss zu, während Orffyreus seine Gehilfen und den Hofmeister abwechselnd mit wüsten Schimpftiraden überzog.
11
Das Päckchen, das der Obdachlose mir überreicht hatte, enthielt vierundfünfzig hauchdünne Metallplatten. Ich hatte so etwas noch nie zuvor gesehen. Sie lagen vor mir ausgebreitet auf dem Laminat meines kleinen Apartments und hielten mich davon ab, mich zu betrinken: Denn eigentlich hatte ich mir vorgenommen, mich nach der Gerichtsverhandlung mit einer Flasche Gin als einziger Begleiterin an diesem Abend in den Schlaf zu bringen.
Die Platten, jede etwa so groß wie ein Blatt Papier im DIN-A4-Format, hatten jeweils eine glatte Rückseite und eine Vorderseite mit eingeritztem Text. Bei näherer Betrachtung entpuppte es sich als eine Art Spiegelschrift. Mithilfe eines kleinen Kosmetikspiegels aus meinem Badezimmer versuchte ich, einzelne Worte zu entziffern, was mir aber nur schwer gelingen wollte. Dies lag vor allem daran, dass es sich um eine alte Schriftart handelte. Im Internet fand ich dafür den Ausdruck »Frakturtype«. Offenbar waren diese Buchstaben im achtzehnten Jahrhundert üblich gewesen.
Nach diversen Recherchen im Internet war ich zu der Auffassung gelangt, dass es sich um Druckplatten handelte. Ich kannte so etwas Ähnliches aus dem Kunstunterricht in der Schule. Dort hatten wir einmal – ich war damals zwölf oder dreizehn – Bilder in kleine Metallplatten hineingeritzt, diese anschließend mit schwarzer Farbe bemalt und dann auf Papier gedrückt. So waren kleine Kunstwerke entstanden. Aber wer nutzte diese Technik, um ein ganzes Buch zu drucken? Und warum hatte man ausgerechnet mir diese Platten übergeben?
Ich konnte mir keinen Reim darauf machen. Mein vielversprechendster Anhaltspunkt war ein Zeitungsartikel, der auf der obersten Platte gelegen hatte und mir beim Öffnen des verschnürten Paketes entgegengefallen war. Man konnte nicht erkennen, aus welcher Zeitung er herausgerissen war. Die Überschrift lautete: Aus alt mach neu – Zwanzig stille Zeitzeugen vor dem Verfall gerettet . Ein Foto zeigte eine junge Frau, die von zwei älteren Herren im Anzug eingerahmt wurde. Alle drei lächelten in die Kamera hinein. Unter dem Bild stand: Diplom-Buchrestauratorin Dr. Julia Wall von der Staatsbibliothek Hamburg (m.) mit dem Direktor der Landes-und Murhardschen Bibliothek der Stadt Kassel, Herrn Dr. Arndt Gorleben (l.), und Heinz Marschenke (r.) von der Kulturstiftung Kassel .
Dem Artikel daneben war zu entnehmen, dass die Kulturstiftung Kassel die aufwendige Restaurierung von zwanzig historischen Schriften aus den Archiven der Kasseler Bibliothek finanziert hatte. Ein Name unter den in dem Artikel genannten Verfassern der geretteten Werke war mit einem Kugelschreiber eingekreist worden: Johann Ernst Elias Bessler. Ebenfalls markiert war im Text der Name von Dr. Julia Wall. Sie hatte das Kooperationsprojekt laut dem Artikel für die Hamburger Staatsbibliothek geleitet. Einen Zusammenhang zwischen dem Zeitungsartikel, den Platten und mir erkannte ich nicht. Außer, dass auch ich wie die Buchrestauratorin in Hamburg wohnte.
Die Druckplatten befanden sich in keinem guten Zustand. Sie waren angelaufen, und an einigen Stellen hatte sich ein Belag gebildet, den ich mit den bloßen Fingernägeln nicht abkratzen konnte. Ich holte eine Flasche mit Glasreiniger und einen Schwamm aus der Küche und begann, sie zu säubern und zu polieren. Als ich diese Arbeit beendet hatte, war es bereits weit nach Mitternacht. Anschließend öffnete ich doch noch den Gin und schlief nach kurzer Zeit auf meiner Couch ein.
Am nächsten Morgen wurde ich durch einen hellen Lichtschein geweckt. Eine der Platten, die immer noch vor mir auf dem Boden lagen, reflektierte das Sonnenlicht direkt in meine Augen.
Frisch geduscht und mit einem Becher Kaffee saß ich wenig später im Schneidersitz vor den merkwürdigen Metalltafeln und las mir zum wiederholten Male den Zeitungsartikel durch. Von wem auch immer diese Platten
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