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Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)

Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)

Titel: Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tibor Rode
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stammten – er oder sie hatte mir mit diesem Text etwas sagen wollen. Und so beschloss ich, diese Julia Wall aufzusuchen und um Rat zu fragen. Im Artikel stand, dass sie als Restauratorin in der Hamburger Staatsbibliothek angestellt war; daher war sie leicht zu finden.
    Die Hamburger Staatsbibliothek war eines dieser in den späten Sechzigern erbauten Betongebäude, bei denen man sich heute fragte, wie es überhaupt jemals als ästhetisch empfunden werden konnte. Am Empfangstresen fand ein misstrauisch dreinblickender Pförtner nach langer Suche in einer in Klarsichtfolie eingeschlagenen Liste das Büro von Frau Dr. Julia Wall. Es lag im Erdgeschoss. Nachdem ich meine Jacke in einem der orangefarbenen Schließfächer der Bibliothek eingeschlossen hatte, machte ich mich mit den Druckplatten, die ich in einer Plastiktüte verstaut hatte, auf den Weg zu der mir genannten Raumnummer.
    Um in den Verwaltungstrakt zu gelangen, musste man den Lesesaal durchqueren. Aus Angst vor Bücherdiebstahl wiesen überall Schilder darauf hin, dass es verboten war, Taschen oder Tüten mit in die Bibliothek zu nehmen. Daher wartete ich nur darauf, dass eine der Aufsichtspersonen mich anhalten würde. Doch glücklicherweise stritten sie gerade mit einem asiatisch aussehenden Studenten, der offenbar kein Wort Deutsch verstand, und so konnte ich meine Fracht unbemerkt hineinschmuggeln.
    Als ich Julia Walls Büro erreichte, fand ich es verschlossen vor. Vergeblich suchte ich an der Tür nach Öffnungszeiten oder irgendeinem Hinweis, wann sie zu sprechen war. Gerade wandte ich mich zum Gehen, als eine Frau, die ungefähr in meinem Alter war, durch den dunklen Gang auf mich zukam. Ihre kastanienbraunen Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, der bei jedem Schritt wippte. Sie trug einen bis über die Hüften reichenden Strickpullover, Jeans und weiße Chucks, und über der Schulter hing eine Umhängetasche. Für mich sah sie wie eine Studentin aus. Als sie bei mir angekommen war, blieb sie vor mir stehen und zeigte auf die Tüte in meiner Hand.
    »Tragebeutel sind hier drin verboten!«, rügte sie mich und zog ihre Augenbrauen zusammen. Darunter schauten mich zwei große dunkelbraune Augen vorwurfsvoll an.
    »Ich weiß«, erwiderte ich und dachte: Ich bin ein frisch verurteilter Straftäter, da werde ich wohl ein paar lächerliche Bibliotheksregeln brechen können.
    »Seien Sie froh, dass keiner vom Aufsichtspersonal Sie damit erwischt hat; die können ziemlich rabiat werden.« Sie sagte dies wie eine besorgte Mutter zu ihrem Kind.
    Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Sie biss sich auf die Unterlippe und schaute mich unschlüssig an. Ihre Nase bildete die perfekte Verlängerung der schmalen Augenbrauen und teilte ihr Gesicht in zwei absolut symmetrische Hälften. Sie war sehr hübsch und hätte auch als Model arbeiten können, fuhr es mir durch den Kopf.
    »Wohin wollen Sie denn?«, erkundigte sie sich.
    Ich deutete mit dem Kopf auf die verschlossene Tür neben mir. »Zu Frau Wall. Aber sie ist nicht da.«
    Die junge Frau warf einen Blick auf das Namensschild neben der Tür und runzelte die Stirn.
    »Sie meinen Frau Doktor Wall?«, fragte sie und betonte dabei den von mir zuvor nicht erwähnten Doktortitel.
    Ich hatte nach meinem Studium erlebt, wie leicht Freunde von mir durch eine leidenschaftslose Fleißarbeit an den Doktortitel gelangt waren, und hatte keinen sonderlichen Respekt davor. Zudem fühlte ich mich von der jungen Frau nun genügend gemaßregelt.
    »Doktorin, Professorin, von und zu – wie auch immer diese Frau Wall sonst noch heißt«, antwortete ich etwas süffisant. »Wissen Sie, wo ich rausfinden kann, wann sie mal da ist?«
    Ihr Blick wanderte erneut zu der Tüte in meiner Hand, dann zurück zu mir. »Was wollen Sie denn von ihr?«, fragte sie.
    Ich glaubte, eine Portion Misstrauen aus ihrer Frage herauszuhören. Um ihr mein Anliegen zu verdeutlichen, griff ich in meine Jackentasche und beförderte den etwas zerknitterten Zeitungsartikel hervor, der den Platten beigelegen hatte. Mein Blick fiel auf das Schwarz-Weiß-Foto. Die abgebildeten Personen waren zwar nicht besonders gut zu erkennen, dennoch bemerkte ich jetzt die Ähnlichkeit.
    »Sie sind Frau Wall, verzeihen Sie … Ich meine Doktor Wall, richtig?«, brach es aus mir heraus. Ich merkte, wie ich errötete.
    »Was ist das?«, fragte sie und griff nach dem Artikel in meiner Hand. Sie überflog ihn kurz, bevor sie ihn mir zurückgab. »Und, was

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