Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)
seien die vergangenen Minuten nicht geschehen, sagte er zu Orffyreus: »Ihr habt natürlich vollkommen recht, mein Herr. Verzeiht meine Unhöflichkeit. Als Erfinder kenne ich die Sorge vor dem Raub geistiger Früchte nur allzu gut. Gerade habe ich meine Forschung an der perpetuierlichen Bewegung tatsächlich auch ein wenig zurückgestellt und arbeite stattdessen an einer Lösung des Längenproblems. Vermutlich wisst Ihr von dem Preisgeld, welches das britische Parlament ausgesetzt hat?«
Orffyreus entspannte sich auf seinem Sitz und nahm den Themenwechsel dankbar an. »Das Längenproblem ist mir natürlich bekannt. Zwar lässt sich der Breitengrad, nicht aber die genaue geografische Länge bei der Positionsermittlung auf dem offenen Meer bestimmen. Die bislang zur Verfügung stehenden Methoden sind furchtbar schlecht. Ich muss aber zugeben, dass ich noch nicht von dem ausgelobten Preisgeld gehört habe.«
»Derjenige, der als Erster eine Methode zur genauen Bestimmung des Längengrades auf offener See präsentiert, die eine Genauigkeit von bis zu einem halben Grad erreicht, erhält ein Preisgeld in Höhe von zwanzigtausend Pfund. Bei Abweichungen von über einem Grad erhält die beste aller Lösungen immerhin noch zehntausend Pfund. Es wurde vom britischen Parlament eine Kommission eingesetzt, in der die bedeutendsten Astronomen und Physiker Englands vertreten sind. Dieses Board of Longitude wird über die eingereichten Lösungen entscheiden. Kein Geringerer als Sir Isaac Newton steht ihm vor.«
»Zehntausend Pfund? Dafür würde man eine ganze Armada von Schiffen kaufen können!«, rief Orffyreus beeindruckt.
»Und was könnte man erst von zwanzigtausend Pfund kaufen«, frohlockte Semler. »Ich bin zuversichtlich, dem Board noch in diesem Jahr einen Vorschlag zu unterbreiten, der gewinnen wird!«
Orffyreus schien mit den Gedanken abwesend und schwieg.
»Ich hoffe, Ihr gedenkt nicht, nun, wo Ihr von diesem Wettbewerb durch mich erfahren habt, mir auch dort noch zuvorzukommen?«, fragte Semler besorgt, dem Orffyreus’ nachdenklicher Gesichtsausdruck nicht entgangen war.
Orffyreus lachte auf und schlug sich mit den Händen auf die Oberschenkel. »Seid unbesorgt, mein lieber Semler. Meine Aufmerksamkeit gilt ganz und gar meinem Perpetuum mobile. Es ist doch alles in feiner Ordnung, wenn ich mich um das Perpetuum mobile sorge und Ihr Euch um das Längenproblem. Nun, da ich das Perpetuum mobile bereits entdeckt habe, werden Eure Forschungen auf diesem Gebiet ohnehin nicht mehr vonnöten sein.«
Erleichtert atmete Semler auf.
Orffyreus zog aus der Innentasche seines Rocks ein Kuvert. »Professor Leibniz hat Euch für die Kommission empfohlen. Hier ist ein Schreiben von ihm, das an Euch gerichtet ist.«
Semler nahm es und überflog es. Seine Augen leuchteten ob der Ehre, die ihm als Auserwählten zuteilwurde. Ohne zu zögern, sagte er seine Teilnahme zu. Danach tauschten die Männer weitere Höflichkeiten aus, bis das Gespräch verflachte. Orffyreus, dem diesmal kein Essen angeboten wurde, erhob sich schließlich zum Gehen. An der Tür angekommen, griff er ein weiteres Mal in seinen Rock, holte etwas hervor und legte es Semler in dessen Hand. Semler schaute erstaunt auf die Münzen.
»Zur Deckung Eures Aufwandes für Reise und Logis«, erklärte Orffyreus. Leibniz hatte dies zwar nicht ausdrücklich empfohlen, Orffyreus wusste aber, dass ein paar Geldstücke stets geeignet waren, Menschen für neue Ideen zu begeistern.
»Das ist viel zu viel!«, rief Semler aus, nachdem er das Geld gezählt hatte.
Orffyreus umfasste Semlers Hand mit den Münzen. »Behaltet es. Ein ehrlicher Dienst ist niemals zu teuer bezahlt!«, sagte er mit eindringlicher Stimme.
Semler zögerte kurz, bevor er zustimmend nickte. »Ja, womöglich habt Ihr recht.«
»Meine Verehrung!«, verabschiedete sich Orffyreus. Umgeben von einem Pulk aus Semlers Sprösslingen, kehrte er zu seiner wartenden Kutsche zurück und war wohl darauf bedacht, keines der Kinder zu berühren.
25
Ich erwachte am späten Vormittag. Zunächst lauschte ich an der Tür zum Schlafzimmer, als ich nichts hörte, öffnete ich sie vorsichtig, um Julia nicht zu wecken. Das Zimmer war leer. Das Bett war sorgfältig gemacht, die Überdecke glatt gestrichen, als hätte nie zuvor jemand das Bett benutzt. Ich schaute in der Küche und im Bad nach – keine Spur von ihr.
Schon grübelte ich, ob ich unsere nächtliche Druckaktion nur geträumt hatte, als mein Blick auf die von
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