Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)
gebürtig in Zittau, werde auf höchst herzogliche Veranlassung eine Apparatur präsentieren, welche ein Perpetuum mobile zu sein vorgab. Da es in der jüngeren Vergangenheit in Bezug auf die Echtheit einige Blamierungen und Schmähungen gegeben habe, werde eine eigens eingesetzte Kommission, bestehend aus zwölf Mathematicorum und Landgerichts-Personen, die Funktionalität dieser außergewöhnlichen Mechanik prüfen und anschließend, wenn denn die Untersuchung glückte, deren Echtheit attestieren. Zeugen aus dem gemeinen Volke seien ausdrücklich zugelassen. Das Examen werde pünktlich zur Mittagsstunde beginnen; der Eintritt von einem Pfennig sei am Eingang zu entrichten.
Die Nachricht von dem Ereignis verbreitete sich von Mund zu Mund, und so fanden sich am Tage der Untersuchung einige Hundert Schaulustige im Grünen Hof ein. Niemand ahnte, dass die Besucher für ihr Geld sehr viel mehr geboten bekommen sollten als nur die Vorführung einer neuartigen Apparatur. Noch Jahre später würde dieser Tag an trüben Winterabenden als der »Tag der Blutprobe« herhalten, um zarte Kinderseelen zu erschrecken. Auch tauften einige den Ort nach diesem Ereignis scherzhaft in »Roter Hof« um.
Für kurze Zeit reichte die Schlange derjenigen, die um Einlass baten, bis hinüber zum benachbarten Friedhof. Er war zu Zeiten der großen Pestepidemie im vorigen Jahrhundert angelegt worden und seitdem ein gefürchteter Ort. Um die Menschen von den todbringenden Leichen fernzuhalten, hatte die örtliche Geistlichkeit einst das Gerücht gestreut, dass dort die Toten wandelten. Einmal in die Welt gesetzt, hatte sich diese Geschichte schneller als der Schwarze Tod selbst verbreitet und auch Generationen überlebt. Inzwischen wurden dort nur noch die Ärmsten und die Namenlosen unter die Erde gebracht.
Die letzten Besucher waren froh, als sie endlich in den Grünen Hof eingelassen wurden. Die Prüfung fand im Saal des Haupthauses im ersten Stock statt. Der Raum war an den Stirnseiten vom Erdgeschoss aus über jeweils eine Treppe und einen kurzen Flur zu erreichen.
Orffyreus selbst war seit den frühen Morgenstunden damit beschäftigt gewesen, sein Perpetuum mobile aufzubauen. Die Mitglieder der Kommission, die den Vormittag über nach und nach eingetroffen waren, warteten in kleinen Gruppen auf den Beginn der Probe. Rasch füllten sich Treppen und Flure mit Zuschauern: Der Ansturm war so groß, dass selbst der große Saal nicht ausreichte, um allen Neugierigen gleichzeitig Platz zu bieten.
Daher war beschlossen worden, dass die Zuschauer sich auf einen ständigen Rundgang begeben sollten, der vor dem Eingang im Erdgeschoss begann. Von dort ging es weiter über die Treppe hinauf in das Obergeschoss, den Flur entlang bis in den Vorführungssaal und sodann an dessen anderem Ende wieder hinaus auf eine Diele. Anschließend stieg man die Treppe hinab und schritt zum Eingang, wo alles wieder von vorne anfing. So durchwanderten die Schaulustigen etwa alle paar Minuten den Raum und warfen ein paar Blicke auf die sonderbare Apparatur, um danach abseits des Geschehens eine weitere Runde durch Haus und Hof zu absolvieren. Ordner postierten sich im Abstand von zwanzig Fuß entlang der Menschenschlange und verteilten mit langen Stöcken und Gerten aufmunternde Schläge, damit die Zuschauer stets in Bewegung blieben. Versuchte jemand auszuscheren oder vorzudrängeln, wurde er mit einem Trommelfeuer von Schlägen bedacht und aus dem Haus geworfen. Die Prozession der Schaulustigen wurde bereits eine Stunde vor dem eigentlichen Beginn des Testats in Gang gesetzt, sodass die Zuschauer bereits zigmal das Obergeschoss durchwandert hatten, noch bevor die Probe gestartet war. Nur die wenigen von Orffyreus ausgewählten Zuschauer, wie die Stadthonorigen, die Adeligen und Gelehrten, durften das Spektakel auf Stühlen im Saal verfolgen.
Orffyreus wurde von Barbara begleitet. Mit ihrem aus Taft genähten und mit großen Tulpen bedrucktem Panier sicherte sie sich nicht nur die Aufmerksamkeit der männlichen Anwesenden, sondern auch die Damenwelt schaute auf den modernen Reifrock, von dessen Art man im beschaulichen Merseburg nicht viele zu Gesicht bekam. Das Volumen ihrer Frisur erlaubte es ihr, auf Perücke oder Haube zu verzichten. Da Orffyreus mit seinen Vorbereitungen beschäftigt war, hatte sie sich um die eintreffenden Mitglieder der Prüfkommission gekümmert, und ihr fröhliches Wesen hatte schon bald für gute Laune unter den Prüfern
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