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Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)

Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)

Titel: Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tibor Rode
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gesorgt.
    Pünktlich zur Mittagsstunde gab der Erfinder das Zeichen, und die Prozedur konnte beginnen. Die Mitglieder der Jury sammelten sich. Man hatte sich darauf geeinigt, dass Semler den Vorsitz übernehmen sollte. Orffyreus war zuvor von dem Halle’schen Gelehrten überschwänglich begrüßt worden, ganz so, als seien beide seit langer Zeit miteinander bekannt. Orffyreus hatte sich nach dem Wohl der Kinder erkundigt und von Semler erfahren, dass der Jüngste seit Tagen fieberte und man inständig hoffte, dass es nicht die Blattern seien. Auch war Orffyreus recht interessiert an Semlers Fortschritten bei der Lösung des Längenproblems gewesen. Semler hatte mit gedämpfter Stimme versichert, dass er es gelöst habe. Orffyreus hatte nach seinem Besuch bei Semler wegen des verlockenden Preisgeldes selbst damit begonnen, sich in die Materie einzuarbeiten, hütete sich jedoch wohlweislich, seinem Gesprächspartner dies zu offenbaren.
    Semler richtete zur Begrüßung einige Worte an die Anwesenden und lobte vorab Orffyreus dafür, dass er ihm mit seiner Erfindung »knapp« zuvorgekommen sei. Anschließend berichtete er langatmig von seinen eigenen erfolgversprechenden Versuchen, ein Perpetuum mobile zu entwickeln, und kam schließlich nach einem theoretischen Ausflug in die Mechanik dazu, den genauen Ablauf der bevorstehenden Prüfung zu erläutern.
    Die Kommission scharte sich um das von Orffyreus errichtete Rad. Es maß sechs Ellen im Durchmesser und war etwa einen Schuh breit. Vom Rad weg spannte sich über die tiefliegenden Deckenbalken hinweg ein Seil, das über eine mit einem schweren Fleischerhaken befestigte Spule aus dem Fenster hinaus in den Hof geführt wurde. Dort stand ein Holzkasten bereit, der mit Ziegelsteinen gefüllt war. Diese wogen genau siebzig Pfund, wovon Semler sich bei seiner Ankunft bereits höchstpersönlich überzeugt hatte.
    Das Rad würde zunächst von Semler mit der Kraft von nur zwei Fingern in Schwung gebracht. Orffyreus war nicht müde geworden, auf die bidirektionale Laufweise hinzuweisen; und so vereinbarte man, dass Semler das Rad nach einigen Umdrehungen anhalten und ihm danach probeweise einen Stoß in die andere Richtung geben würde. Vorgesehen war sodann, den Lauf des Rades für eine Viertelstunde zu beobachten, wobei die Umdrehungen pro Minute gezählt werden sollten, um sicherzustellen, dass der Lauf des Rades sich nicht verlangsamte. Um die Umdrehungen leichter zählen zu können, hatte Semler mit weißer Farbe einen großen Punkt auf die Vorderseite des Rades gemalt.
    Nach erfolgreicher Beendigung des Probelaufs sollte das Seil über die verschiedenen Winden an dem Rad befestigt werden, damit es die Kiste mit den Steinen vom Hof in den ersten Stock hinaufziehen konnte. Orffyreus hatte ausdrücklich auf diesen Lastentest bestanden, um zu beweisen, dass seine Apparatur sich nicht nur unendlich lang bewegte, sondern obendrein in der Lage war, nützliche Arbeit zu verrichten.
    Das Prozedere sollte später an einem anderen Ort in dem Raum wiederholt werden. So sollten versteckte Manipulationen, die mit einer bestimmten Position des Rades zusammenhingen, ausgeschlossen werden.
    »Bevor wir beginnen«, erklärte Semler mit erhobener Stimme, »werden wir die Gemächer zur Rechten und Linken inspizieren, um sicherzugehen, dass dort keine geheimen Antriebe versteckt sind.« Ein Raunen ging durch die Reihen der Anwesenden; und die zwölf Kommissionsmitglieder, begleitet von Orffyreus sowie einigen weiteren Neugierigen, nahmen die umliegenden Zimmer in Augenschein, stellten jedoch keinerlei Auffälligkeiten fest.
    Währenddessen marschierten die Zuschauer unverdrossen hinter der durch Seile geschaffenen Absperrung vorüber. Sie versuchten, in der kurzen Zeit, in der sie jeweils im Vorführraum waren, jedes Wort und jedes Detail an der Konstruktion zu erfassen. Auf der anschließenden langen Strecke, die sie nach dem Verlassen des Raumes im dunklen Flur, auf der düsteren Treppe und außerhalb des Hauses zurücklegten, erzählten sie sich gegenseitig das Gehörte und Gesehene und diskutierten darüber. Immer wieder entbrannte auf diesem Teil der Zuschauerprozession ein handfester Streit über unterschiedliche Wahrnehmungen, und die Ordner mussten ein ums andere Mal eingreifen, damit keine größere Prügelei entstand.
    Endlich startete Semler den Versuch. Mit Leichtigkeit brachte er das Rad zunächst zu der einen und dann zu der anderen Seite in Schwung, und schon bald erreichte es

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