Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)
gleichmäßige vierzig Umdrehungen pro Minute, die genauestens protokolliert wurden.
Auch nach einer Viertelstunde blieb die Anzahl der Umdrehungen konstant bei vierzig. Erst mit großer Kraftanstrengung gelang es Semler, das Rad zu stoppen.
Orffyreus befestigte das Seil an der ruhenden Apparatur und gab das Kommando, das in dem Hof wartende Gewicht am Seilende einzuhaken. Wieder brachte Semler das Rad ohne jede Kraftanstrengung in Gang, und wenig später wurde das Gewicht mit relativ hoher Geschwindigkeit bis zum ersten Stock gehievt, wo ein Helfer den Kasten unter dem Applaus der gerade Anwesenden in Empfang nahm. Mühevoll wurde die baumelnde Last wieder von Hand in den Hof hinabgelassen.
»Wir sollten uns dieses nun auch vom Hofe aus ansehen«, schlug Semler vor. Er schien von einem merkwürdigen Ehrgeiz gepackt, alles richtig zu machen.
Die Kommissionsmitglieder stimmten zu, froh darüber, ein wenig frische Luft schnappen zu können. Als man den Hof betrat, schritt Semler sogleich zu den Ziegelsteinen, trat mit dem Schuh gegen den Kasten und murmelte zufrieden vor sich hin. Danach notierte er etwas auf dem Blatt Papier, das er auf einem Brett, welches als Schreibunterlage diente, befestigt hatte.
Auf das vereinbarte Kommando »Rad los!« setzte sich das Gewicht in Bewegung und schaukelte rasch dem ersten Stock entgegen. Semler trat sogleich unter den Kasten und starrte nach oben auf die Unterseite der baumelnden Last, ganz so, als gelte es, etwas Besonderes an deren Boden zu entdecken. Zwei andere Kommissionsmitglieder – Christoph Buchta, Berater am Hofe des Herzogs, und Johan Adam Caff, sächsischer Landbaumeister – taten es ihm nach. Alle drei standen nun unter dem Fenster und beobachteten mit in die Höhe gereckten Hälsen, wie der Holzkasten über ihren Köpfen nach oben schaukelte.
Zwischen dem Erdgeschoss und der ersten Etage kam das Gewicht ob der hohen Zuggeschwindigkeit plötzlich gefährlich ins Wanken. Immer stärker pendelte das Gewicht hin und her und schlug schließlich kräftig gegen die Außenwand des Hauses. Der harte Aufprall ließ die hölzerne Seitenwand des notdürftig gezimmerten Kastens bersten. Die Ladung von einem halben Dutzend ellenlanger Ziegelsteine verrutschte, gab der Schwerkraft nach und stürzte hinab. Während es Buchta gelang, sich durch einen Sprung zur Seite zu retten, traf ein Stein Caff auf die rechte Schulter, von wo er abprallte und mit einem dumpfen Geräusch zu Boden fiel.
Semler hatte weniger Glück als seine zwei Kollegen. Ohne jede Regung starrte er den herabstürzenden Geschossen entgegen. Einige der Zuschauer, die ihrerseits das große Glück hatten, auf ihrem Rundgang genau in diesem Augenblick die Schleife über den Hof zu drehen, berichteten später, dass das Brechen der Knochen des Jochbeins und der Augenhöhlen bis weit über das Anwesen hinaus zu hören gewesen sei. Blut spritzte meterweit und traf auch jene Mitglieder der Kommission, die in weiser Voraussicht sicheren Abstand gehalten hatten. Semlers Beine gaben im selben Moment nach, als ihm der Stein ins Gesicht prallte. Das Klemmbrett mit dem Protokoll entglitt seinen Händen; und er selbst knickte nach vorne ein, woraufhin weitere Ziegelsteine auf seinen Nacken, seine Schultern und seine Kniekehlen stürzten. Da er durch den ersten Stein bereits in tiefe Ohnmacht gefallen war, gab er keinerlei Schmerzensbekundungen von sich. Der Vorsitzende der Kommission blieb regungslos mit dem Gesicht im Kies liegen, und im Nu bildete sich eine große Blutlache um ihn herum.
Als Erster unter den schockierten Beobachtern reagierte Orffyreus. Geistesgegenwärtig eilte er mit großen Schritten auf den Unglücklichen zu, kniete sich nieder und rettete mit einem raschen Griff im allerletzten Augenblick das Protokoll samt Klemmbrett vor dem herannahenden dunklen Blut. Triumphierend hielt er das gerettete Protokoll in die Höhe.
Beim Anblick der entgeistert dreinschauenden Kommissionsmitglieder erinnerte er sich mit einem Mal daran, dass der zerstörte Kasten immer noch über das Seil an seinem Perpetuum mobile befestigt war, und stürmte voller Sorge zurück in das Haus, um etwaige Schäden an seiner Apparatur in Augenschein zu nehmen. Herbeigeeilte Ordner kümmerten sich unterdessen um den vor Schmerzen laut schreienden Caff, der sich die Schulter hielt und immer wieder rief: »Sie ist gebrochen, sie ist gebrochen!«
Zwischenzeitlich hatten einige Knechte den immer noch stumm vor sich hin blutenden Semler auf
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