Das Rad der Ewigkeit: Roman (German Edition)
den Rücken gedreht. Hilflos rüttelten sie an dessen Schultern und hoben ihn ein Stück vom Boden an. Sein Kopf schlackerte leblos hin und her. Als sie den Verunglückten wieder losließen, schlug sein Hinterkopf mit einem knirschenden Geräusch auf dem grobkörnigen Kies auf. Nun eilte ein anderer Knecht herbei, der aus einer der Pferdetränken einen Eimer mit Brackwasser geholt hatte. Den Inhalt des Kübels goss er Semler mit Schwung ins Gesicht: erstens, um das Blut wegzuwaschen, das mittlerweile in Augenhöhlen, Mund und Ohren gelaufen war, zweitens, um Semler aus seiner Ohnmacht zu wecken. Beides gelang nicht.
Am Fenster im ersten Stock erschien nun der Gesandte des Herzogs, der als Zeuge an der Probe teilnahm. Auf seine Anweisung hin trugen die Knechte den leblosen Körper Semlers schließlich zu einem der wartenden Pritschenwagen. Dabei rutschte einer der Träger in der Blutlache aus, verlor kurz den Halt und ließ Semlers Körper aus den Händen gleiten, der abermals mit dem Geräusch sich reibender Kieselsteine mit dem Hinterkopf auf dem Boden aufschlug. Halb schleifend, halb tragend beförderte man ihn endlich auf die Ladefläche des Gefährts, hob den laut jammernden Caff auf den Sitz neben dem Fahrer, der sogleich davonpreschte, um beide ins Hospital zu bringen.
Die Zuschauer mussten unterdessen mit Stockhieben zum Weitergehen angetrieben werden, um auch den Nachrückenden einen Blick auf die Geschehnisse im Hof zu gewähren. Unruhe brach aus, als sich der Vorfall herumsprach. Nun versuchte jeder der zahlenden Besucher, einen Blick auf den großen See aus Blut zu werfen, der langsam immer dunkler wurde, da er zu trocknen begann.
Die verbleibenden Mitglieder der Prüfungskommission versammelten sich im ersten Stock und besprachen gemeinsam mit den anwesenden Gerichtspersonen, wie es weitergehen sollte. Orffyreus arbeitete währenddessen verbissen an seinem Rad und verkündete schon bald mit einer gehörigen Portion Erleichterung, dass dieses den Zwischenfall unbeschadet überstanden hatte.
Der Mathematik-Professor Christian Wagner wurde zum neuen Vorsitzenden der Kommission bestimmt. Man einigte sich darauf, dass das Unglück allein Semlers Schuld gewesen sei und keine Auswirkungen auf das Ergebnis der Prüfung haben sollte. Das Rad hatte eindeutig die Last gehoben und somit auch diese Probe bestanden. Unverständnis über die große Unvernunft des Kollegen Semler breitete sich aus, und nach kurzer Zeit begann man bereits, über den Vorfall und die zertrümmerte Nase des bewusstlos fortgeschafften Kollegen zu scherzen. Professor Mencke wies darauf hin, dass Semler schon immer etwas naseweis gewesen sei; und der dem Unglück nur knapp entronnene Buchta merkte sichtlich erleichtert an, dass Semler sich, dem Herrn sei Dank, für ihn in die Steine geworfen habe. Am meisten mitgenommen von diesem Vorfall war Barbara, die den scherzenden Männern angewiderte Blicke zuwarf.
Nach den Ereignissen stand allen der Sinn nach ein paar Bechern Wein. Man beeilte sich, die Untersuchung ohne weitere Verzögerungen zu Ende zu bringen. Der Reihe nach gratulierte man dem Inventore für seine hervorragende Arbeit. Ein Schreiber, ein dürrer Mann aus Preußen, der als Sekretär am Hof des Herzogs beschäftigt war, bekam den Auftrag, ein offizielles Protokoll zu verfassen, das anschließend mit dem herzoglichen Siegel versehen werden sollte. Alle Anwesenden unterzeichneten bereits mit ihrem Namen eine Urkunde, die später als letzte Seite dieses Protokolls die ordnungsgemäße Durchführung der Probe attestieren würde. Auf Bitten von Orffyreus hin erklärten sich die einzelnen Kommissionsmitglieder bereit, einen zusätzlichen schriftlichen Augenzeugenbericht zu verfassen und in den nächsten Tagen mit der Post an ihn zu übersenden. Als Ausgleich für die dadurch entstehenden Mühen wurde jeder für seine Zusage mit einem weiteren Beutel voller Geldstücke vom Erfinder belohnt.
Nachdem man die Schaulustigen vom Grünen Hof gejagt hatte, bewegte die Gesellschaft der verbliebenen Männer sich unter Begleitung von Barbara fröhlich zu einem vorbereiteten Mahl im Speisesaal des Haupthauses. Semler wurde in keiner Weise vermisst. Er hätte, so scherzte Mencke, mit seinem zertrümmerten Kiefer ohnehin nichts von den vorbereiteten Speisen probieren können – allerhöchstens ein wenig Hirsebrei. Alle lachten lauthals.
Einige Tage später suchte Orffyreus den verletzten Semler auf. Er war in einem Zimmer des
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