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Das Rad der Zeit 1. Das Original

Das Rad der Zeit 1. Das Original

Titel: Das Rad der Zeit 1. Das Original Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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nach oben und nach unten, ohne sichtbaren Beginn oder Ende. Jede
Brücke führte zu einem Turm, jede Rampe zu einem anderen Turm und zu anderen
Brücken. In welche Richtung auch immer Rand blickte, so weit seine Augen in der
Dämmerung sehen konnten: Es war immer dasselbe, oben genau wie unten. Das Licht
war zu schwach, um alles deutlich zu sehen, und Rand war fast froh über diese
Tatsache. Einige der Rampen führten zu Plattformen, die sich genau über denen
darunter befinden mussten. Er konnte nirgends ein Fundament erkennen. Er wehrte
sich dagegen, suchte die Freiheit; er wusste, dass es eine Illusion war. Alles
war nur Illusion.
    Er kannte diese Illusion; er war ihr
schon zu oft gefolgt, um sie nicht zu kennen. Wie weit er auch ging, hinauf
oder hinunter oder in irgendeine Richtung: Es gab immer nur den schimmernden
Stein. Und doch durchdrang der faulige Geruch tiefer, frisch aufgeworfener Erde
die Luft – die Ekel erregend süße Fäulnis eines Grabes, das viel zu früh
geöffnet wurde. Er bemühte sich, die Luft anzuhalten, aber der Geruch füllte
seine Nase. Er klebte wie Öl an seiner Haut.
    Eine kaum sichtbare Bewegung erregte
seine Aufmerksamkeit, und er erstarrte dort, wo er sich gerade befand, halb
gebückt an das matt glänzende Geländer um eine der Turmspitzen herum gekauert.
Es war kein Versteck. Von tausend Standorten aus hätte ihn ein Beobachter sehen
können. Schatten erfüllte die Luft, doch tiefere Schatten, in denen er sich
hätte verbergen können, gab es nicht. Das Licht entsprang keinen Lampen oder
Laternen oder Fackeln; es war einfach da, als sickere es aus der Luft heraus.
Stark genug, um einigermaßen sehen zu können, und stark genug, um gesehen zu
werden. Nur die Stille gewährte ein wenig Schutz.
    Wieder eine Bewegung, und diesmal war die
Ursache klar. Ein Mann schritt eine weit entfernte Rampe hinauf. Er achtete
nicht auf fehlende Geländer und den drohenden Sturz ins Nichts. Der Umhang des
Mannes flatterte durch die gravitätische Eile seines Schritts, und sein Kopf
wandte sich suchend in alle Richtungen. Die Entfernung war zu groß, als dass
Rand in der trüben Luft mehr als die Umrisse hätte erkennen können, aber er
musste gar nicht näher kommen, um zu wissen, dass der Umhang die rote Farbe
frischen Blutes hatte und dass die suchenden Augen wie das Innere eines
Brennofens flammten.
    Er bemühte sich, das Labyrinth mit den
Augen abzusuchen, um festzustellen, wie viele Übergänge Ba’alzamon noch
brauchte, bevor er ihn erreichte, gab es dann aber auf. Entfernungen täuschten
hier; eine andere Lektion, die er gelernt hatte. Was fern schien, konnte
vielleicht erreicht werden, wenn man um die nächste Ecke kam, und was nahe lag,
konnte sich außerhalb jeder Reichweite befinden. Das Einzige, was er tun
konnte, war – wie schon seit Beginn –, in Bewegung zu bleiben. Sich
fortbewegen, ohne zu denken. Denken war gefährlich, das wusste er.
    Und doch: Als er sich von Ba’alzamons
ferner Gestalt abwandte, konnte er nicht anders, als sich über Mat Gedanken zu
machen. Befand sich auch Mat irgendwo in diesem Irrgarten? Oder gibt es zwei Irrgärten und zwei Ba’alzamons? Sein Verstand schreckte davor zurück; die Vorstellung war zu
entsetzlich, um die Gedanken dort länger verweilen zu lassen. Ist das wie in Baerlon? Warum können sie mich dann nicht finden? Das war ein wenig besser. Eine kleine Erleichterung. Erleichterung? Blut und Asche, wo ist die Erleichterung daran?
    Zwei- oder dreimal waren sie sich beinahe
begegnet, auch wenn er sich nicht mehr genau daran erinnern konnte, aber lange,
lange Zeit – wie lang? – war er davongerannt, und Ba’alzamon hatte ihn
vergebens verfolgt. War das nun wieder wie in Baerlon, oder war es einfach ein
Albtraum, nur ein Traum wie der anderer Menschen?
    Einen Augenblick lang – gerade lange
genug, um Luft zu holen – wusste er, warum es gefährlich war, zu denken und
woran er nicht denken sollte. Wie schon zuvor flimmerte die Luft, wenn er sich
erlaubte, sich das in den Sinn zu rufen, was ihn als Traum umhüllte. Ein
Schatten senkte sich über seine Augen. Die Luft wurde zähflüssig und hielt ihn
fest. Nur einen Augenblick lang.
    Die drückende Hitze ließ seine Haut
prickeln, und seine Kehle war schon lange ausgetrocknet, als er durch den
Irrgarten von Dornenhecken trabte. Wie lange ging das jetzt

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