Das Rad der Zeit 10. Das Original: Zwielichtige Pfade (German Edition)
einer Frau, die nur mit ihrem Haar bekleidet war. Abgesehen von dem Handtuch auf ihrem Kopf trug Aviendha nur einen feuchten Schimmer am Leib, und sie winkte Sephanie ärgerlich fort, als sie versuchte, ihr die Robe anzulegen. Messer oder nicht, Aviendha neigte noch immer dazu, so zu denken, als würde sie mit der Klinge kämpfen und sich plötzlich bewegen müssen.
»Bringt das in den Ankleideraum zurück«, sagte Elayne und gab Essande das Elfenbein- Angreal . »Aviendha, ich glaube wirklich nicht, dass wir …«
Die Tür öffnete sich einen Spalt, und Birgitte steckte stirnrunzelnd den Kopf herein. Naris und Sephanie zuckten zusammen, offenbar waren sie doch nicht so beruhigt, wie es den Anschein gehabt hatte.
»Zaida will dich sehen«, knurrte Birgitte Elayne an. »Ich habe ihr gesagt, sie soll warten, aber …« Mit einem plötzlichen Aufschrei stolperte sie ins Zimmer hinein, gewann nach zwei Schritten das Gleichgewicht wieder und wirbelte herum, um sich der Frau zu stellen, die sie gestoßen hatte.
Die Herrin der Wogen vom Clan Catelar sah allerdings keineswegs so aus, als hätte sie jemanden gestoßen. Die Enden ihrer auf komplizierte Weise verknoteten roten Schärpe baumelten in Kniehöhe, als sie gemächlich das Zimmer betrat. Ihr folgten zwei Windsucherinnen, von denen eine der wütenden Rasoria die Tür vor der Nase zuschlug. Alle drei schwankten beim Gehen fast so sehr wie Birgitte in ihren hochhackigen Stiefeln. Zaida war klein, ihr dichtes lockiges Haar wies graue Strähnen auf, aber ihr dunkles Gesicht gehörte zu der Sorte, die mit den Jahren an Schönheit gewann, und ihre Schönheit schien von der goldenen, mit kleinen Medaillons übersäten Kette, die einen ihrer dicken goldenen Ohrringe mit dem Nasenring verband, nur noch unterstrichen zu werden. Aber weitaus wichtiger war ihr befehlsgewohntes Auftreten. Ihm lag keine Arroganz zugrunde, sondern das Wissen, dass man ihr gehorchte. Die Windsucherinnen musterten Aviendha, die noch immer vom Schein der Macht umgeben wurde, und Chanelles ebenmäßiges Gesicht spannte sich an, aber abgesehen von Shielyns Murmeln, dass »das Aiel-Mädchen« zum Weben bereit war, verhielten sie sich stumm und abwartend. Die acht Ohrringe zeichneten Shielyn als Windsucherin einer Herrin der Wogen aus, und Chanelles Ehrenkette trug fast so viele Medaillons wie Zaidas. Beide waren Frauen mit Autorität, was durch die Art und Weise ihrer Haltung deutlich gemacht wurde, aber man musste nichts über die Atha’an Miere wissen, damit einem klar wurde, dass hier Zaida din Parede das Sagen hatte.
»Ihr müsst über Eure Stiefel gestolpert sein, Generalhauptmann«, murmelte sie mit einem schmalen Lächeln, während eine ihrer dunklen, tätowierten Hände mit dem goldenen Duftkästchen spielte, das auf ihrer Brust hing. »Beengende, alberne Dinger, diese Stiefel.« Sie und die beiden Windsucherinnen waren wie immer barfuß. Fußsohlen der Atha’an Miere waren so hart wie Schuhsohlen und störten sich genauso wenig an rauen Decks wie an kalten Bodenfliesen. Zusätzlich zu ihren Blusen und Hosen aus hellem, farbigem Seidenbrokat trug jede der Frauen seltsamerweise eine breite weiße Stola, die über die Taille reichte und die vielen Ketten fast verbarg.
»Ich habe gerade ein Bad genommen«, sagte Elayne mit angespannter Stimme. Als könnten sie das nicht sehen, wo ihr Haar vom Handtuch verhüllt wurde und die Robe ihr feucht am Leib klebte. Essande zitterte fast vor Empörung, was bedeuten musste, dass sie außer sich vor Wut war. So wie Elayne beinahe auch. »Und ich werde wieder ein Bad nehmen, sobald Ihr gegangen seid. Ich spreche mit Euch, wenn ich mit dem Bad fertig bin. Wenn es dem Licht gefällt.« So! Wenn sie sich schon in ihr Zimmer drängten, dann mussten sie auf das übliche Zeremoniell eben verzichten!
»Möge auch Euch das Licht strahlen, Elayne Sedai«, erwiderte Zaida glatt. Sie hob eine Braue und sah Aviendha an, aber sie konnte damit nicht den flackernden Schein Saidars meinen, da sie nicht die Macht lenken konnte, und auch nicht ihre Nacktheit, da das Meervolk damit ausgesprochen lässig umging, zumindest außerhalb der Sicht von Küstenbewohnern. »Mich habt Ihr nie zu einem gemeinsamen Bad eingeladen, obwohl das höflich gewesen wäre, aber darüber wollen wir nicht reden. Ich habe erfahren, dass Nesta din Reas Zwei Monde tot ist, ermordet von den Seanchanern. Wir betrauern ihren Verlust.« Die drei Frauen berührten die weißen Stolen und führten die
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