Das Rad der Zeit 10. Das Original: Zwielichtige Pfade (German Edition)
entführt zu haben, werden die Dinge noch schlimmer, als sie es ohnehin schon sind.«
Dyelin winkte ab. »Ihr kennt die Gilyards nicht sehr gut, oder? So, wie sie sich untereinander befehden, könnte es Sommer sein, bevor ihnen auffällt, dass der Junge fort ist, und keiner von ihnen wird zugeben, dass sie so damit beschäftigt waren, sich darüber zu streiten, wer sein Vormund sein soll, dass sie vergaßen, ihn im Auge zu behalten. Und zweitens wird keiner von ihnen zugeben wollen, dass man sie vorher nicht gefragt hat.«
»Ich hoffe, Ihr habt recht, Dyelin, denn ich beauftrage Euch damit, Euch um die wütenden Gilyards zu kümmern, falls welche auftauchen sollten. Und während ihr die anderen drei beratet, könnt Ihr den Daumen auf Conail halten, damit er nichts Hirnverbranntes anstellt.«
Trotz ihrer überzeugten Worte ließ die erste Bemerkung Dyelin leicht zusammenzucken. Und die zweite ließ sie seufzen.
Birgitte musste daraufhin laut lachen. »Falls Ihr Probleme haben solltet, leihe ich Euch eine Hose und Stiefel, dann könnt Ihr vor ihm hergehen.«
»Manche Frauen«, murmelte Dyelin in ihren Wein, »können einen Fisch anbeißen lassen, indem sie den Finger krümmen, Lady Birgitte. Andere Frauen müssen alle ihre Köder in den Teich werfen.« Das ließ nun Aviendha lachen, aber Birgittes Wut stieg erneut in dem Bund in die Höhe.
Ein kalter Luftschwall drang in den Raum, als die Tür aufging und Rasoria eintrat, die sofort Haltung annahm. »Die Haushofmeisterin und der Erste Sekretär sind eingetroffen, Lady Elayne«, verkündete sie. Ihre Stimme versagte, als sie die Stimmung im Raum bemerkte.
Eine blinde Ziege hätte sie bemerkt; Dyelin, die so selbstzufrieden wie eine Katze im Milchladen aussah, Birgitte, die sie und Aviendha finster anstarrte, und Aviendha, der ausgerechnet in diesem Augenblick wieder einfiel, dass Birgitte schließlich Birgitte Silberbogen war, was dazu führte, dass sie zu Boden starrte, und zwar so peinlich berührt, als hätte sie eine Weise Frau ausgelacht. Manchmal wünschte Elayne, all ihre Freunde könnten so gut miteinander auskommen wie sie und Aviendha, aber irgendwie schafften sie es, sich in die Haare zu geraten, und vermutlich konnte man von richtigen Menschen nichts anderes erwarten. Perfektion gab es nur in Büchern und den Geschichten der Gaukler.
»Schickt sie rein«, sagte sie Rasoria. »Und stört uns nicht, es sei denn, die Stadt würde angegriffen. Es sei denn, es ist wichtig«, lenkte sie ein. In den Geschichten forderten Frauen, die solche Befehle gaben, immer Katastrophen heraus. Manchmal lag in diesen Geschichten auch eine Lektion, wenn man danach Ausschau hielt.
KAPITEL 14
Was Weise Frauen wissen
H alwin Norry, der Erste Sekretär, und Reene Harfor, die Haushofmeisterin, traten gemeinsam ein; er machte eine ruckartige, ungelenke Verbeugung und sie einen anmutigen Hofknicks, der weder zu niedrig noch zu oberflächlich war. Sie hätten nicht unterschiedlicher sein können. Frau Harfor hatte ein rundliches Gesicht und wirkte majestätisch, ihr Haar war oben auf dem Kopf zu einem makellosen Knoten zusammengefasst. Meister Norry war hochgewachsen und so schlank wie ein Stelzvogel, und das wenige Haar, das ihm noch geblieben war, stand hinter seinen Ohren wie ein Büschel weißer Federn ab. Jeder von ihnen trug eine reich verzierte, mit Papieren vollgestopfte Ledermappe, aber sie hielt sie an der Seite, so als wollte sie ihren scharlachroten Wappenrock nicht verknittern, der nie die geringste Falte aufwies, welche Stunde auch geschlagen hatte oder wie lange sie auf den Beinen gewesen war, während er die Mappe an die Brust klammerte, als wollte er alte Tintenflecken verbergen, von denen einige seinen Wappenrock sprenkelten, der große Fleck eingeschlossen, der die Schwanzspitze des Weißen Löwen in einem schwarzen Schopf enden ließ. Nachdem sie die Höflichkeiten hinter sich gebracht hatten, nahmen sie sofort etwas Distanz zueinander ein, und jeder hielt den anderen verstohlen im Auge.
Sobald sich die Tür hinter Rasoria geschlossen hatte, flammte um Aviendha der Schein Saidars auf, und sie webte ein Schutzgewebe gegen mögliche Lauscher, die an den Wänden klebten. Was nun zwischen ihnen gesagt werden würde, war so sicher, wie es möglich war, und Aviendha würde wissen, wenn jemand versuchte, mittels der Macht zu lauschen. Sie war sehr gut in dieser Art von Gewebe.
»Frau Harfor«, sagte Elayne, »Ihr fangt an.« Natürlich bot sie weder Wein noch
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