Das Rad der Zeit 10. Das Original: Zwielichtige Pfade (German Edition)
umherschwirrte. Die meisten Aes Sedai kniffen die Lippen mehr als nur etwas zusammen, wenn sie daran erinnert wurden, obwohl sie diese Idee schnell genug akzeptiert hatten, sobald ihnen klar geworden war, wie sehr es die Organisation der Klassen vereinfachte und es ihnen erleichterte, die Frauen im Auge zu behalten. Tiana kontrollierte die Arbeit der Novizinnen so aufmerksam, dass es offensichtlich war, dass sie Sharinas Anwesenheit zu ignorieren versuchte. Klein und schlank, mit großen braunen Augen und einem Grübchen am Kinn sah Tiana trotz ihres alterslosen Gesichts irgendwie jung aus, vor allem im Vergleich mit den breiten Hüften und faltigen Wangen der größeren Novizin.
Die beiden Aes Sedai, die an dem Tisch direkt am Eingang die Macht lenkten, Kairen und Ashmanaille, hatten ebenfalls Zuschauer. Janya Frende, eine Sitzende der Braunen, und Salita Toranes, eine Sitzende der Gelben. Aes Sedai und Novizinnen gingen alle derselben Aufgabe nach. Vor jeder Frau umgab ein enges, aus Erde, Feuer und Luft gewobenes Netz einen kleinen Gebrauchsgegenstand, der von den Lagerschmieden hergestellt worden war. Es hatte sie sehr verblüfft, dass die Schwestern solche Gegenstände aus Eisen haben wollten, ganz zu schweigen davon, dass sie so fein gearbeitet sein sollten wie aus Silber. Ein zweites, aus Erde und Feuer gestaltetes Gewebe durchdrang jedes Netz, um den Gegenstand zu berühren, der langsam eine weiße Färbung annahm. Und zwar ganz langsam.
Das Geschick mit den Geweben verbesserte sich durch Übung, aber von den Fünf Mächten war Erde der Schlüssel, und außer Egwene beherrschten nur neun Schwestern im Lager – sowie zwei Aufgenommene und beinahe zwei Dutzend Novizinnen – dies ausreichend, um funktionsfähige Gewebe zu erschaffen. Allerdings gab es unter den Schwestern auch nur wenige, die sich überhaupt dafür interessierten. Ashmanaille, die schlank genug war, um größer zu erschienen, als sie in Wirklichkeit war, und die zu beiden Seiten der einfachen Eisenschüssel mit den Fingern auf die Tischplatte trommelte, verfolgte ungeduldig, wie der weiße Rand bis zur Mitte in die Höhe kroch. Kairens blaue Augen schauten kalt genug, dass allein ihr Blick hätte ausreichen müssen, um den hohen Becher, an dem sie arbeitete, zerspringen zu lassen. Er wies nur einen kleinen weißen Rand am unteren Ende auf. Es musste Kairen gewesen sein, die Egwene hatte eintreten sehen.
Aber nicht jede war lustlos. Janya, dünn und in hellbronzene Seide gekleidet, die Stola mit den braunen Fransen in beiden Ellenbeugen, studierte das, was Kairen und Ashmanaille dort taten, mit dem Eifer von jemandem, der sich sehnlichst wünschte, das auch tun zu können. Janya wollte alles wissen, sie wollte wissen, wie alles funktionierte und warum es das tat. Sie war sehr enttäuscht gewesen, als es ihr verwehrt geblieben war, zu lernen, wie man ein Ter’angreal herstellte – außer Elayne war das bislang nur drei Schwestern gelungen, und das auch nur mit sehr unterschiedlichem Erfolg –, und sie hatte große Anstrengungen unternommen, diese Fertigkeit zu erlernen, selbst nachdem der Test gezeigt hatte, dass ihr die nötige Stärke in der Erde fehlte.
Salita war die Erste, die Egwene bemerkte. Sie hatte ein rundes Gesicht, und ihre Haut war fast so schwarz wie Holzkohle, und die gelben Fransen ihrer Stola schwankten leicht, als sie einen präzisen, haargenau abgemessenen Knicks machte und Egwene dabei ruhig ansah. Aufgewachsen in Salidar, gehörte Salita einer beunruhigenden Entwicklung an: zu viele Sitzende waren zu jung für diese Position. Salita war erst seit fünfunddreißig Jahren Aes Sedai, und normalerweise hätte eine Frau die Stola mindestens hundert Jahre länger tragen müssen, bevor sie einen Stuhl zugewiesen bekam. Siuan sah ein Muster darin und fand es beunruhigend, obwohl sie nicht sagen konnte, warum das so war. Muster, die sie nicht verstand, beunruhigten Siuan immer. Wenigstens stand Salita für den Krieg gegen Elaida ein und unterstützte Egwene oft im Saal. Aber nicht immer, und hierbei ganz bestimmt nicht. »Mutter«, sagte sie kühl.
Janya riss den Kopf hoch und fing an zu strahlen. Sie war immer für den Krieg gewesen, die einzige Frau außer Lelaine und Lyrelle, die vor der Spaltung der Burg eine Sitzende gewesen war, und auch wenn ihre Unterstützung für Egwene nicht immer bedingungslos war: was das hier anging, galt sie uneingeschränkt. Wie gewöhnlich sprudelten die Worte förmlich aus ihr heraus.
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