Das Rad der Zeit 10. Das Original: Zwielichtige Pfade (German Edition)
für jene, die nicht lesen konnten, wies es auf einen Ort hin, an dem sich etwas Ungewöhnliches befand. Dies war der größte Wanderzirkus auf der ganzen Welt, zumindest behauptete dies das Banner. Luca behauptete vieles, aber in dem Punkt sagte er Mats Meinung zufolge die Wahrheit. Die zehn Fuß hohe und am Boden fest verankerte Segeltuchwand umgab die Fläche eines mittelgroßen Dorfes.
Die vorbeiströmenden Leute betrachteten das Banner neugierig, aber die Bauern und Kaufleute hatten ihre Arbeit vor sich und die Siedler ihre Zukunft, und keiner machte einen Abstecher. Dicke, an im Boden versenkten Pfosten befestigte Taue sollten die Menschenmengen zu dem breiten, torbogenförmigen Eingang direkt hinter dem Banner leiten, aber keiner wartete auf Einlass, nicht zu dieser Stunde. In letzter Zeit kamen nur wenige, egal zu welcher Stunde. Der Fall von Ebou Dar hatte nur ein leichtes Absinken der Zuschauerzahlen zur Folge gehabt, aber sobald die Leute erkannt hatten, dass die Stadt nicht geplündert werden würde und sie nicht um ihr Leben flüchten mussten, sondern dass die Wiederkehr die ganzen Schiffe und Siedler brachte, entschloss sich fast jeder, sein Geld für dringendere Bedürfnisse aufzuheben. Unter dem Banner standen zwei kräftige Männer in Umhängen, die aussahen, als kämen sie aus einer Kleidersammlung, und schoben dort ihren Dienst, der daraus bestand, jeden fernzuhalten, der sich ohne zu bezahlen umsehen wollte, aber selbst von denen gab es im Moment kaum jemanden. Die beiden kauerten auf den Fersen und würfelten, der eine hatte eine Hakennase und einen dicken Schnurrbart, dem anderen fehlte ein Auge.
Überraschenderweise schaute Petra Anhill, der Kraftprotz des Zirkus, den beiden Pferdeknechten beim Spiel zu, die Arme, die größer waren als die meisten Männerbeine, vor der Brust verschränkt. Er war kleiner als Mat, aber mindestens doppelt so breit, seine Schultern spannten den Stoff des schweren blauen Mantels, den seine Frau ihm wegen der Kälte aufgenötigt hatte. Petra schien völlig in das Würfelspiel versunken zu sein, dabei spielte der Mann nicht, warf nicht einmal Kupfermünzen. Er und seine Frau Clarine, die Hunde dressierte, sparten jede Münze, die sie erübrigen konnten, und Petra brauchte keine große Aufmunterung, um lang und breit über den Gasthof zu sprechen, den sie eines Tages kaufen wollten. Noch überraschender war, dass Clarine an seiner Seite stand, vermummt in einen dunklen Umhang und anscheinend genauso in das Spiel vertieft wie er.
Petra schaute misstrauisch über die Schulter in Richtung Lager, als er Mat und Egeanin Arm in Arm näher kommen sah, was Mat die Stirn runzeln ließ. Leute, die über die Schulter blickten, das war nie gut. Aber Clarines ausdrucksloses braunes Gesicht verzog sich zu einem warmen Lächeln. Wie die meisten Frauen des Zirkus glaubte sie, dass er und Egeanin ein Liebespaar waren. Der Pferdeknecht mit der Hakennase, ein breitschultriger Tairener namens Col, grinste anzüglich, als er den bescheidenen Gewinn einstrich. Allein Domon konnte Egeanin etwas Attraktives abgewinnen, aber für ein paar Narren spendete Adel Schönheit. Oder das Geld sorgte dafür, und eine Adlige musste reich sein. Ein paar dachten, dass jede Adlige, die ihren Mann für jemanden wie Mat Cauthon aufgab, dazu bereit sein musste, auch ihn fallen zu lassen und sich mit ihrem Geld dem nächsten zuzuwenden. Das war die Geschichte, die Mat und die anderen herumerzählt hatten, um zu erklären, warum sie sich vor den Seanchanern verbargen: ein bösartiger Ehemann und die Flucht von Liebenden. Jeder kannte solche Geschichten, von Märchenerzählern oder aus Büchern, wenn auch selten vom Leben selbst, aber alle hatten sie oft genug gehört, um sie zu akzeptieren. Col behielt jedoch seinen Kopf unten. Egeanin – Leilwin – hatte bereits bei einem Schwertjongleur, einem zu hübschen Burschen, der mit seiner Einladung zu einem Becher Wein in seinem Wagen zu forsch gewesen war, ihr Gürtelmesser gezückt, und keiner hegte auch nur den geringsten Zweifel, dass sie die Klinge benutzt hätte, wäre er auch nur einen Fingerbreit näher an sie herangekommen.
Als Mat den Kraftprotz erreichte, sagte Petra leise: »Seanchanische Soldaten sprechen gerade mit Luca, etwa zwanzig Mann. Das heißt, der Offizier spricht mit ihm.« Er klang nicht ängstlich, aber die Falten auf seiner Stirn kündeten von Besorgnis, und er legte seiner Frau eine beschützende Hand auf die Schulter. Clarines
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